Museen und Outreach


Kulturvermittlung, Methoden / Montag, August 27th, 2018

Es schwirren ja so einige Buzzwords durch den Museumshorizont, bei denen ich mir denke, es lohnt eine genaue Betrachtung. Dazu gehört auch der Begriff Outreach. Mir fällt immer wieder auf, dass es extrem schwierig ist, englische Bezeichnungen wie Audience Development oder Community in einem Wort auf das Deutsche zu übertragen. Das führt dazu, dass wir vielleicht gar nicht mal so genau wissen, auf was wir uns da einigen sollten. Deswegen habe ich mich sehr über die Publikation von Ivana Scharf, Dagmar Wunderlich und Julia Heise gefreut, die mir freundlicherweise ein Rezensionsexemplar überlassen haben. Denn neben einigen Praxisbeispielen besticht das Buch vor allem durch eine grundlegende Besprechung dessen, was alles im Stichwort Outreach steckt. Ich habe hier mal die wichtigsten Erkenntnisse aus der Lektüre zusammengefasst.

Die Definition

Ich muss gestehen, ich hatte das Thema Outreach bislang eher eng gefasst. Im Sinne beispielsweise mobiler Museumsvermittlung. Die Autorinnen haben sehr genau in den angelsächsischen Raum geblickt, wo diese Praxis im heutigen Verständnis entwickelt worden ist.

Outreach is the term most often used to describe making contact with groups that do not routinely visit museums and galleries, because of economic status, social exclusion, lack of confidence, educational and institutional barriers or general alienation from museums as relevant institutions.“

Diese Definition findet sich in einem Handbuch zu „Lifelong Learning in Museums“, aus dem vor allem die Erkenntnis erwächst, dass es nicht nur auf einzelne Projekte ankommt, sondern, dass Outreach-Formate nur mit einer dezidierten Haltung funktionieren. Die Autorinnen sind der Überzeugung, dass Kulturinstitutionen ihre Position innerhalb einer immer diverser werdenden Gesellschaft deutlich machen müssen. „Ziel ist eine diverse, die Gesellschaft wiederspiegelnde Besucherschaft.“

Mit einem Schaubild wird im Buch illustriert, in welchen Zusammenhängen Outreach wirken kann: Audience Development, Public Engagement, Social Inclusion. Spätestens hier ist klar: es ist nicht banal, was hier besprochen werden muss. Und es ist auch nicht mit ein paar gut gemeinten Aktionen getan. Mir hat gut gefallen, wie deutlich das Buch an vielen Stellen darauf hinweist, dass Outreach Teil eines strategischen Prozesses sein muss.

Das Verständnis

Was heißt das jetzt konkret? Dieser Frage stellen sich die Autorinnen konsequent. Da scheint sich auch auszuzahlen, dass sie Praxiserfahrungen mitbringen aber gleichzeitig auch in strategische Prozesse eingebunden sind. „Eines der wichtigsten Ziele von Outreach ist es, die Reichweite der Kultureinrichtung und ihres Bildungsauftrages zu erhöhen, auch wenn dadurch nicht zwangsläufig die Besucherzahlen vor Ort steigen.“ Die Perspektive des Bildungsauftrages unabhängig von Zahlen – das klingt so einfach und birgt doch eine Menge Sprengkraft. Hier zeigt, sich, dass erfolgreiches Outreach einhergehen muss mit einem klaren Verständnis der Ziele, die eine Kulturinstitution verfolgt.

Auf den ersten Seiten des Buches wird schon klar, dass die Publikation auch ein Appell an die Adresse der Museen sein will. Man richtet sich speziell an staatliche geförderte Museen, da diese einem gesellschaftlichen Auftrag verpflichtet seien. Passend dazu wird auch noch einmal auf eine Aussage auf der Website des Deutschen Museumsbundes verwiesen:

Der Deutsche Museumsbund ist der Überzeugung, dass alle Mitglieder unserer Gesellschaft ein Recht auf kulturelle Teilhabe haben.“

Es liegt in der Natur der Sache, dass beim Thema Outreach oder auch Audience Development der Blick sehr oft über den Tellerrand sprich nach Großbritannien oder auch in die USA gehen muss. Viele grundlegende Erkenntnisse werden in dem Buch aus dieser Richtung repräsentiert. Aber die Autorinnen sind daran interessiert, das Thema auch für den deutschsprachigen Raum zu durchdenken und zumindest für zukünftige strategische Ansätze auch Grundlagen zu liefern.

Ein sehr interessanter Aspekt ist das Thema der Besucherforschung, die auch in meinen Augen bislang zu wenig qualitativ ausgerichtet war.

Welche Aussagen über das Museumspublikum sind nach derzeitigem Stand der Erkenntnisse also möglich? Auch wenn jedes Museum diese Fragestellung für sich individuell beantworten sollte, bildet eine Betrachtung des allgemein verfügbaren Wissens über das Kulturpublikum und das Museumspublikum die Grundlage für die Verortung der einzelnen Institutionen und für die Entwicklung individueller Outreach-Strategien.

Hier muss man unbedingt ansetzen und sich um die konsequente Perspektive der Besucher bemühen, die als Voraussetzung für ein Audience Development gelten darf. Ich denke, hier ist noch viel Raum für eigene Erfahrungen, die man dann mit den Erkenntnissen des Buches abgleichen kann.

Die Praxisbeispiele

Nach einem ausführlichen Part über das Museumspublikum als solches und der historischen Entwicklung des Outreach-Gedankens wird es dann aber spannend. Die verschiedenen Erscheinungsformen des Outreach-Formate werden durchdekliniert : Loan boxes, Museumsboxen, Museumskoffer – Mobile Museen – Satelittenmuseen – Distance Learning  Programme – Webseiten (sic!) – Social Media (!!!) – Apps – Digitale Sammlungen – MOOCs (unter anderem mit einem Zitat von mir zum Städel) – Digitale Strategien. Was für eine Bandbreite. Hier war ich wirklich überrascht, was sich alles unter dem Stichwort Outreach versammelt.

Abschließend fand ich noch einmal ein Zitat, dass zeigt, worum es bei all der Vielfalt gehen muss:

Eine strategische Outreach-Arbeit dient stärker der Ermittlung von Interessen und Bedürfnissen bisheriger Nicht-Besucher als der Vermittlung von institutionellen Inhalten.

So kann man einen Überbau über das Thema Outreach setzen, an dem sich eigentlich auch jegliche Unternehmungen in diese Richtung überprüfen ließe. Wie zeigt sich das dann in der Praxis? Bevor es an die Beispiele geht, haben die Autorinnen noch die unterschiedlichen Kategorien von Outreach-Ansätzen aufgelistet: School-Outreach, Community-Outreach und Digital-Outreach.

Und auch wenn natürlich die angelsächsischen Vorbilder für das Thema maßgeblich sind, gibt es doch auch bei uns einige Museen, die den Weg so vorgegangen sind, dass sie Standards gebildet haben. Dazu gehört das Jüdische Museum Berlin mit on.tour – Das JMB macht Schule aus dem Jahr 2007, das damals als erstes Outreach-Projekt deutschlandweit galt. Erwähnung finden auch die Programme des Historischen Museums Frankfurt, das u.a.  mit dem Stadtlabor einiges bewegt haben. Weitere Beispiele wie das Open Museum der Glasgow Museums oder das „Project“ und „The Wall“ der Museums of Copenhagen schauen schon wieder ins Ausland. Wahrscheinlich fehlt es einfach hierzulande an den entsprechenden Projekten im Museumsbereich und ich möchte hiermit meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass unter anderem die vorliegende Publikation Museen bei uns dazu motiviert, mehr in diese Richtung zu gehen. Projekte aus dem Theater oder Orchesterbereich haben die Autorinnen jedenfalls finden können. Und so wird das Buch durch diese umfassenden Dokumentationen vorhandener Projekte auch ein nutzbares Handbuch, aus dem man sich viel abgucken und in die eigene Arbeit übertragen kann.

In den Museen in Deutschland besteht ein enormer Entwicklungsbedarf im Hinblick auf Diversität in allen Bereichen der Organisation, der immer mehr erkannt wird. Museen haben in Bezug auf Diversity als öffentlich geförderte Institutionen eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft, die für die Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhaltes relevant ist. Dies bedeutet besonders für jene Bevölkerungsgruppen Kontaktmöglichkeiten herzustellen, deren kulturelles Interesse nicht familiär geprägt wird. Museen können hier ihre Aktivitäten und Kooperationen weiter ausbauen, um diesen Zugang zu ermöglichen. Zudem können sie im digitalen Zeitalter als Orte der zwischenmenschlichen Begegnung an Bedeutung gewinnen: Einerseits ist der Akt des Selbstgestaltens und Involviertseins für viele Menschen ein wichtiger Aspekt ihrer Lebensgestaltung. Besonders für heute Heranwachsende ist die Möglichkeit des autonomen und individuellen Gestaltens bedeutsam für ihre Freizeitgestaltung. Andererseits besteht in unserer zunehmend durch Individualisierung geprägten Gesellschaft der Bedarf nach gemeinschaftsstiftenden Orten und Erzählungen. Museen haben in besonderem Maße das Potenzial, durch multiperspektivische Erzählweisen und ko-kreative Ansätze genau diese gemeinschafts- und sinnstiftenden Orte einer diversen Gesellschaft zu sein.

Mit dieser Feststellung liefern die Autorinnen ein wunderbares Fazit aus ihren Untersuchungen und die nachfolgenden Kapitel beschäftigen sich dann folgerichtig mit ganz konkreten Handlungsanweisungen für alle, die sich auf den Weg begeben möchten: Haltung der Institution reflektieren – Etablierung auf Führungsebene – Diversifizierung und Qualifikation des Personals – Ko-Kreation als Arbeitsweise – Partnerschaften aufbauen – Grundlagen für Outreach-Arbeit – Politische Rahmenbedingungen – Forschung bereitstellen – Fachstelle für Wissenstransfer, Prozessbegleitung, Beratung und Qualifizierung einrichten – Förderprogramme für Outreach anbieten.

Fazit

Das Buch, das im Waxmann Verlag erschienen ist, liefert neben den theoretischen Grundlagen vor allem viel Einblick in die Praxis des Outreach und liefert zahlreiche Argumente, warum dieser Ansatz für die Zukunft der Museen hilfreich sein kann. Das sind gut angelegte 34,90 für alle Museumprofessionals, die dem gesellschaftlichen Wandel mit neuen Ideen begegnen wollen. Neben der Investition in Literatur (erwähnenswert ist eine umfangreiche Bibliographie im Buch) ist aus meiner Sicht aber vor allem eines wichtig: sich Zeit nehmen, um all diese Aspekte ausführlich zu durchdenken!

 

 

 

 

 

3 Replies to “Museen und Outreach”

  1. Liebe Anke,
    Vielen Dank für den Tipp, das klingt nach einem lesenswerten Buch. So viele spannende Ansätze und schön, wenn mal jemand feststellt, dass das so etwas wertvoll ist, das nicht immer vor Ort an den Besucherzahlen ablesbar ist. So ist leider immer die gängige Argumentation in Bezug auf solche Projekte, die Leuten etwas bieten, die nicht zwingend im Museum anwesend sein müssen.
    Viele Grüße,
    Marlene

    1. Liebe Marlene,

      ja, in dem Buch habe ich viele Sätze gefunden, die so wertvoll sind. Es ging zwar um das Spezialthema „Outreach“ aber eigentlich war ein umfassender Wandel in der Haltung von Kulturinstitutionen der Überbau. Gut, wenn sich immer mehr in diese Richtung bewegen.

      Gruß, Anke

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