Experimente mit neuen Formaten finde ich wichtig. Gerade in der Kunstvermittlung sind solche „Lockerungsübungen“ ein Schritt nach vorne. Denn, sind wir mal ehrlich, es fällt sehr schwer, sich von den alten Mustern zu lösen. Konzepte zu verabschieden, die ALLES verfügbare Wissen um ein Kunstwerk auf einmal mitgeben. Das kann nicht funktionieren. Politische Korrektheit ist auch sehr wichtig, aber manchmal ist mir die Dosierung zu hoch. Und als letztes noch: Humor ist Geschmackssache. Ich habe mir hier Gedanken zum neuen Youtube-Format des Städelmuseums gemacht.
Talk im Rahmen
Die Idee dahinter: man setzt ein paar Kunstwerke aus dem Museum auf die Couch einer fiktiven Talkshow (mir jucken jetzt schon die Finger, wenn ich mir überlege, welche Kunstwerke ich gerne mal zu einem provokanten Talk zusammenbringen würde). Dazu ein eloquenter Moderator, der durch die Diskussion führt. In der ersten Folge ging es um Emanzipation. „Ich poste, also bin ich. Authentizität, Selfies und das Netz“ – ist die Diskussionsgrundlage der zweiten. Das Konzept spielt mit den Sehgewohnheiten deutscher Fernsehzuschauer. Gerade jetzt erhält die erste Folge sogar eine unbeabsichtigte Aktualität – man verfolge nur die Querelen um „Hart aber fair„.
Die auf den Bildern dargestellten Personen spielen eine Rolle. Das kann man natürlich kritisieren. Jedes „Bild“ steht für eine bestimmte Posititon, die natürlich auch überzeichnet dargestellt ist. Ich finde die Idee sehr reizvoll, sich zu fragen: Was wäre wenn? Wenn die Venus von Lucas Cranach in einer Talkshow auftreten würde. Welche Position würde sie einnehmen? Was wären ihre Worte? Ein spielerischer Ansatz. Persepektivwechsel der besonderen Art. Aber mit großem Gewinn für die Vermittlungsarbeit. Dass der Film in der Umsetzung technisch hätte besser sein können – wie Tine Nowak schon beschrieben hat – will ich gerne unterschreiben. Auch die Auswahl der Schauspieler ist nicht durchgängig gelungen. (Die Synchronstimme von Helen Mirren passt super. Nur die Venus *augenroll* …)
Das ist stellenweise schade, weil es – wie ich meine – den Gesamteindruck schwächt. Und natürlich denen in die Hänge spielt, die solche Formate grundsätzlich blöd finden.
Was wird vermittelt?
Eine ganze Menge! Nehmen wir mal die Venus – und sehen von dem dünnen Stimmchen ab. Gut, wer Kunstgeschichte studiert hat, der weiß natürlich um die „Macht“ dieser Göttin. Ich finde es gelungen, wie hier über diverse kleine Verweise mit Augenzwinkern („Google mal Apfel“) die Bedeutung der Figur aufgezeigt wird. Der von Frau Roederstein eingeworfene Hinweis, dass der Schleier ja noch nicht mal ein richtiges Attribut sei, lenkt auf die besondere Gestaltung des Künstlers. Es mag vielleicht ein bisschen holzschnittartig und auch frech daherkommen, aber die Venus steht nun mal tatsächlich für die Macht der Verführung. Dass sie also diese Rolle in der Talkshow übernimmt, ist keinesfalls despektierlich und am „Thema“ des Bildes vorbei. Der Begriff „Flittchen“ schießt vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus. Aber mit solchen Übertreibungen kann ich leben. Geschmackssache!
Was Ottilie Roederstein angeht, so muss ich gestehen, dass ich die Künstlerin nicht kannte. Sie hat vielleicht in dieser Talkshow eine etwas undankbare Position. Das ist das Spiel. Was man aber von ihr erfährt, macht neugierig. Warum stellt sie sich so unnahbar dar auf ihrem Selbstbildnis? Das wird sich doch jeder Betrachter fragen. Und in den Moderationstexten von Gert Scobel wird man ja auch auf die richtige Fährte geführt. Es ist ein Darstellungstypus, der sonst den männlichen Kollegen vorbehalten war. Da würde niemand den stechenden Blick, die verschränkten Arme und das fehlende Lächeln als Ablehnung interpretieren. Vielleicht hätte man in den Dialog-Szenen dieses noch stärker aufgreifen sollen, statt die Diskussion auf die Kabbelei zwischen der Malerin und der Venus zu konzentrieren. Die gefakte „Emmä“ finde ich allerdings gar nicht gelungen. Ich denke, in dem ganzen Format ist noch Luft nach oben.
Anika Meier hat sich die zweite Folge angesehen und kritisiert hier, dass nicht nur „die historischen Grenzen, sondern auch die der Gattungen und Medien“ verwischt werden. Nehmen wir mal das Holbein Bild. Da wird ja Simon George of Cornwall zum Hipster. Ja, hier vermischen sich die historischen Grenzen. Es ist aber durchaus nicht „falsch“, diese historische Figur mit einem aktuellen Phänomen zu vergleichen. Hinter dem Begriff Hipster steckt eine Schablone, mit der man arbeiten kann. Das ist allgemeines Wissen, man muss nichts zufüttern. Es geht zum Beispiel bei diesem Thema auch um Modevorbilder. Und die Ausstattung des Porträtierten legt nahe, dass er auf solche Dinge großen Wert gelegt hat. In der Talkshow wird geschickt immer auf kleine Details gelenkt, wie die Sache mit der Brosche am Hut. Das sind spannende kunsthistorische Informationen, die man mit dem Storytelling-Konzept der Talk-Show verwoben hat. Ich mag zum Beispiel auch den kleinen Wortwitz mit „Profilbild“. Man muss das nicht mögen. Aber man kann nicht sagen, dass da nichts vermittelt wird!
Es gibt auch bei den anderen Bildern so viel zu Entdecken an Hinweisen und inhaltlichem Mehrwert. Vielleicht ist es ganz gut, sich die Talk-Show auch ein zweites Mal anzusehen. Wie bei einem Film voller Anspielungen, wird manches nicht beim ersten Mal deutlich. Das ist die Krux solcher kurzen Formate. Es geht darum, die Komplexität zu reduzieren. Das ist die höchste Kunst der Vermittlungsarbeit. Aber wer hat denn die Zeit, sich stundenlange Dokumentationen reinzuziehen.
Zielgruppe
„‚Talk im Rahmen‘ ist ein weiteres, wesentliches Element unserer umfassenden digitalen Vermittlungsinitiative und wird als YouTube-Format neben unserem bereits bestehenden Publikum auch ganz neue Zielgruppen ansprechen“, sagt Max Hollein. Ich finde es gut, dass nicht vom „jungen Publikum“ gesprochen wird. Denn da brauchen wir uns nichts vorzumachen – die Youtuber werden das sicher nicht als neuesten heißen Trend willkommen heißen. Wenn man an diese Zielgruppe heranwollte, müsste man mal LeFloid einladen, eine Führung durch das Städel zu machen.
Die neuen Zielgruppen sind diejenigen, die nicht sowieso schon für die Kunst gewonnen sind. Es sind die, die gerne leichte Kost zu sich nehmen 🙂 Die nicht so viel Zeit investieren wollen, um sich in Themen einzufinden. Die vielleicht mit so einem „Teaser“ (als mehr sehe ich dieses Format nicht an) gelockt werden. Deren Interesse geweckt werden muss.
Ich bin mir nicht sicher, ob das Städel mit dieser Talkshow in Serie gehen wird. Das ist wahrscheinlich auch viel zu teuer. Aber es ist ja auch nicht so, als wäre dieses Format das Einzige, was auf deren Youtube-Kanal zu sehen ist. Somit ist das mal ein Experiment, was ich gelungen finde. Was mir Spaß macht. Bitte mehr davon. Ich finde, bewegte Bilder haben einen absoluten Mehrwert und man sollte sich durchaus die Möglichkeiten des Netzwerkes „Youtube“ weiter durch den Kopf gehen lassen.
Ich nehme mir vor, mich mal auf Youtube umzuschauen, auf der Suche nach guter Kunstvermittlung. Die Tate hat so etwas schon im Portfolio. Zielgruppe: Kinder. Und für Erwachsene gibt es die Serie „Unlock Art„. Super gemacht. Aber auch nicht ganz perfekt. Bei der Pop Art mit Amerika anzufangen – ist irgendwie nur so halb richtig!! Hier: Dr. Who erklärt den Surrealismus! Das macht mir Spaß!! Und jetzt komme mir keiner mit „Das mit dem rosa Dali-Tier, das durch das Bild läuft – was soll das?“ Aber vielleicht findet sich ja noch mehr.
Liebe Anke,
für deine Suche nach Kunstvermittlung auf YouTube habe ich einen Linktipp für dich: Schau dir mal (sofern du ihn nicht eh schon kennst) „The Art Assignment“ an. Das ist der Kanal von Sarah Urist Green, ehemalige Kuratorin am Indianapolis Museum of Art und Ehefrau von John Green, YouTube-Urgestein und Autor („Das Schicksal ist ein mieser Verräter“). Ich finde den Kanal vor allem spannend, weil er nicht von einer Kultureinrichtung kommt, sondern quasi aus der Community heraus entstanden ist. Und die Inhalte gefallen mir auch!
Liebe Ann-Kathrin,
ah, danke für deinen Tipp. Irgendwie rauschte letztens dieses „I can do that“ an mir vorbei. Aber man guckt dann nicht immer genau hin. Die Idee ist super. Vor allem, solche Fragestellungen aufzugreifen. Ich finde es insgesamt ein bisschen zu sehr „vorgelesen“. Bei dem Warhol-Video wird es noch deutlicher, da hetzt sie richtig durch, um auch alle Details in den 5 Minuten unterzukriegen. Aber der Ansatz ist schon mal gut. Wenn das Ganze jetzt noch authentischer und persönlicher wäre, fände ich es noch besser.
Liebe Grüße
Anke
Liebe Anke,
das hohe Tempo liegt bei den Greens wohl in der Familie, ihr Ehemann und Schwager würden mit ihren „Vlogbrothers“-Kanal wohl jeden Schnellsprechwettbewerb gewinnen! 😉 Es gibt auch eher vlogartige Videos auf dem Kanal, die sind deutlich persönlicher. Insgesamt ist er bestimmt nicht perfekt, da gebe ich dir recht, aber was ist das schon. 🙂
Liebe Grüße
Ann-Katrin
Liebe Ann-Kathrin,
ich finde auch, man muss ausprobieren und viele neue Ideen testen. Werde mich mal peu a peu durch die Videos arbeiten. Der Ansatz an sich ist schon klasse. Ich mag es allerdings gerne mit noch ein bisschen mehr Spiel!
Lieben Gruß
Anke
Hallo Anke,
ich finde das Thema sehr spannend. Das Städel hat ja immerhin schon einige Aufmerksamkeit erlangt mit dem Experiment und experimentiert wird allgemein viel zu wenig. Natürlich ist der Inhalt Geschmackssache, aber wie du wunderbar erläuterst, kommt doch Inhalt rüber und die Wahl steht beim angesprochenen Publikum wohl eher bei „etwas Inhalt vermitteln“ vs. „keinen Inhalt vermitteln“ 😉 Ich bin aber gespannt, wer diese Zielgruppe wirklich ist. Die YouTuber sind mir persönlich bisher recht fremd geblieben, ich bin eher der Lese-Typ.
Viele Grüße,
Marlene
Liebe Marlene,
ja, die Aufmerksamkeit ist natürlich auch ein Ziel, das man mit solchen Formaten erreichen will. Allerdings sehe ich schon, dass sich die Vermittler auch Mühe gegeben haben, das vom Ansatz her vernünftig aufzuziehen. Da steckt viel drin, was so auch im analogen Alltag der Kunstvermittler genutzt wird. Und ich finde es spannend, das mal in so einem Format umgesetzt zu sehen. Will heißen: normalerweise arbeiten wir mit Gruppen vor den Bildern so: stellen Sie sich vor, die Venus wäre auf einer Talkshow. Was würde sie zum Thema Emanzipation sagen. Das ist die Methode des Perspektivwechsels, die viel Erkenntnis für die Bildbetrachtung bringt. Man muss sich nämlich alle Details des Bildes zunutze machen, um solch eine fiktive Situation durchspielen zu können. Funktioniert super in Gruppenführungen. Die Leute kommen ans Reden. Und zwar nicht nur Schulklassen. Wenn man es richtig moderiert, klappt das auch mit Erwachsenen.
Die Youtuber an sich – das ist noch mal eine ganz andere Baustelle. Wie gesagt, es wäre da sicher sehr erfolgreich, wenn man einen von denen einlädt, ne Führung zu machen. Vielleicht traut sich das ja mal ein Museum 🙂
Liebe Grüße
Anke
Bestimmt traut sich irgendwann mal ein Museum, immerhin hat es YouTube ja inzwischen eine Weile gegeben! Nein, ich finde Talk im Rahmen auch ein wirklich spannendes Experiment, und an den kleinen technischen Makeln hab ich mich beim Ansehen gar nicht gestört.
VIele Grüße,
Marlene