Ich hatte ja schon angekündigt, dass aus dem Thema „Kunstvermittlung für Menschen mit Demenz“ eine Serie wird. Es gibt einfach zu viel dazu zu sagen. Und ich bin sehr froh, dass sich so viele Gesprächspartnerinnen und ein -partner gefunden haben, hier über ihre Erfahrungen zu berichten. Normalerweise bin ich ja für kurze Blogbeiträge. Aber in diesem Falle finde ich es wichtig, ein Thema auch in aller Ausführlichkeit zu besprechen. Und es wird nicht der letzte Beitrag sein! Das Thema ist auch zu wichtig!
Mit Jochen Schmauck-Langer habe ich hier einen Kollegen befragt, der als „Experte“ von außen auf die Museen (in diesem Falle die Kölner) zugegangen ist und eine Kooperation angeboten hat. Ganz interessiert habe ich seine Antworten gelesen, vor allem da, wo er über den Umgang mit Menschen berichtet, bei denen eine fortschreitende Demenz vorliegt. Ich finde das hochspannend, denn sicher stellt diese Zielgruppe eine ganz besondere Herausforderung dar. Mir gefällt das sehr gut, wenn auch hier Programme entwickelt werden! Wie das gelingen kann, erläutert der Experte aus seiner Praxis.
Seit wann beschäftigt ihr euch /beschäftigen Sie sich mit der Zielgruppe „Menschen mit Demenz“ und was war der Impuls dafür, dies zu tun?
Jochen Schmauck-Langer: 2011 fand die erste Führung für Menschen mit Demenz im Kölnischen Stadtmuseum statt. In dieser Zeit arbeitete ich nach einer Qualifizierung zum ‚Alltagsbegleiter‘ für drei Jahre halbtags in einem Seniorenheim in der Betreuung von Menschen mit Demenz. Das war für mich – geisteswissenschaftliches Studium (Literatur, Geschichte, Medienwissenschaft) – ein nachhaltiger ‚Bruch in meiner Erwerbsbiografie‘ als Autor und Schriftsteller, klappte aber (Kommunikation, Haltung, Einblick in die Pflege- und Betreuungsprozesse und die Unterschiedlichkeit von demenziellen Veränderungen) erstaunlich gut.
In Bezug auf die Bewohnerschaft dieses Seniorenhauses war ein allgemeines Phänomen festzustellen: Dass die Gruppe derjenigen allmählich größer wurde, die schon, bevor sie in eine Demenz hineingingen und letztlich pflegebedürftig wurden, kulturelle Vorlieben hatten. Viele waren gerne ins Museum gegangen, hatten ein Konzert- oder Theaterabo… Mit einer fortschreitenden Demenz schien dies faktisch nicht mehr möglich.
Gemeinsam mit Michael Becker, einem Kollegen aus der Sozialen Betreuung, der als Sozialpädagoge den Schwerpunkt Musik hatte, überlegten wir, wie man das ändern könnte. Das war der Beginn von dementia+art. Ich wandte mich an das Kölnische Stadtmuseum bzw. an den federführenden Museumsdienst Köln und legte ihm ein Konzept vor. Ergebnis war jene erste Führung, die ich selbst durchführte.
Von den parallelen Angeboten der Kolleginnen in Duisburg oder in Bonn erfuhr ich erst später. Das heißt: Die Angebote von dementia+art für Menschen mit Demenz, vor allem in den beiden Kernbereichen Kunst/Museen und Musik/Konzerthäuser, gehen grundsätzlich vom Krankheitsbild aus. Die Kultureinrichtungen sind aufgefordert, auf die Zielgruppe (Menschen mit Demenz in der frühen, mittleren und späten Phase) ausgerichtete Angebote zu schaffen.
Wir wurden für 2012 dann damit betraut, ein Rahmenprogramm zum Leitthema des Sommerblut-Kulturfestivals in Köln zu entwickeln, das dem Thema Demenz gewidmet sein sollte. Wir brachten über 20 Veranstaltungen (u.a. in Museen und mit dem WDR Sinfonieorchester) an den Start.
Der Wunsch war nun da, deutlicher auf bleibende Strukturen hinzuarbeiten – Ausdruck dessen war das Pilotprojekt, das dementia+art 2013/14 für die Robert Bosch Stiftung und die Aktion Demenz e.V. für den Großraum Köln durchführte. Das Ergebnis waren vier (jetzt sechs) Kölner Museen und (mindestens) zwei Konzertorte (Kleiner Sendesaal des WDR und Kölner Philharmonie), die – strukturell eingebunden in unser weites Netzwerk zum Pflege-/Betreuungs-/Demenzbereich – nach wie vor regelmäßige Angebote für die unterschiedlichen Phasen von Demenz machen.
In den letzten Jahren hat sich im deutschsprachigen Bereich in Bezug auf ‚Kulturelle Teilhabe für Menschen mit Demenz‘ ein Art Markt gebildet. Die Erfahrungen der unterschiedlichen Konzepte werden (auch in Fortbildungen) weitergegeben. Als freiberuflicher Dienstleister verstehe ich mich dabei mit dementia+art aufgrund meiner Erfahrungen als ein praxis-orientierter Vermittler zwischen den beiden Bereichen Kultur und ‚Demenz‘ – wobei stets auch Fragen der nachhaltigen Netzwerkgestaltung von großer Bedeutung sind.
Ich gehe hier mal davon aus, dass es sich bei den Nutzern der Angebote um Betroffene mit maximal mittelschwerer Demenz handelt. Welche Begriffe beschreiben diese Besucher mit besonderen Bedürfnissen am besten?
Jochen Schmauck-Langer: Liebe Anke von Heyl, da gehen Sie bei dementia+art von einer falschen Annahme aus – die sich gerade im Museumsbereich ausbreitet: In meinen Augen erschreckend viele Museen wenden sich mit ihren Angeboten an „Menschen in einer frühen Phase“ ihrer Demenz. Das bedeutet, dass sie weitgehend in ihren gewohnten Vermittlungsstrukturen bleiben können. Es besteht kaum die Notwendigkeit sich von Anfang an mit einem mittleren bis fortgeschrittenen Krankheitsbild und dem kognitiven Verfall auseinanderzusetzen und genau darauf zugeschnittene Museumsangebote zu schaffen. (Was sage ich einem ‚Menschen mit Demenz‘, dessen Ressourcen nach einem halben Jahr merklich zusammengeschmolzen sind? – „Tut uns leid, die Museen sind dafür nicht mehr zuständig!“…?)
Vielleicht etwas Statistik: Das durchschnittliche Alter unserer Besucher dürfte bei über 80 Jahren liegen. Über 80 % kommen aus stationären oder ambulanten Einrichtungen, haben in der Regel deutliche kognitive und vielfach körperliche Einschränkungen. (Bei jener allgemeinen Obergrenze von acht Betroffenen plus maximal acht Begleitern sind nicht selten fünf, sechs oder sieben Rollstühle zu berücksichtigen. Eine logistische Herausforderung für die Kultureinrichtungen – aber natürlich auch für den Pflege- / Betreuungsbereich und die Angehörigen!
Hinzu kommt, dass – anders als ursprünglich gedacht – mehr als die Hälfte unserer Besucher aus den umliegenden Städten und ländlichen Gebieten kommt und einen Ausflug nach Köln mit einer solchen kulturellen Teilhabe verbindet. Nicht zu vergessen (und mir ein besonderes Anliegen): Über die Hälfte unserer besonderen Besucher war noch nie in einem solchen Museum – was übrigens in noch größerem Maß für die (erstmals) Begleitenden gilt.
In der Regel wird ja im Zusammenhang mit der Demenz viel von Dingen geredet, die nicht mehr gehen und die problematisch sind. Wenn man mal eine andere Perspektive auf das Thema einnimmt, kommen da auch positive Dinge ans Licht? Wie zum Beispiel eine gesteigerte Emotionalität, die ja vor allem im Hinblick auf die Kunstbetrachtung Vorteile bringen kann. Was habt ihr/haben Sie für Erfahrungen gemacht?
Jochen Schmauck-Langer: Die „gesteigerte Emotionalität“ ist ja gerade das, was als Vorurteil kolportagehaft verbreitet wird als Verlust der Affektkontrolle (verbunden mit verbaler und körperlicher Aggressivität, Enthemmung, aber auch mit traumatischen Angstgefühlen; insgesamt wahrgenommen als ein ‚herausforderndes Verhalten‘). Bei etwa 150 Führungen (die Konzerte nicht zu vergessen!) gab es jedoch lediglich drei oder vier Situationen, die in dieser Weise schwierig waren. Die Begleitenden zogen sich dann mit ‚ihren‘ Menschen mit Demenz aus dem gegebenen Kontext heraus, um ihnen und nicht zuletzt allen Beteiligten dadurch besser gerecht zu werden.
Eher ist wohl mit einer gesteigerten Empathie zu rechnen, die ein bloß beiläufiges Interesse des Führenden deutlich wahrnimmt. Deshalb ist ein strukturell verankertes Element unserer ‚Teilhabe-orientierten Kommunikation‘ die empathisch eindeutige Wertschätzung von Beiträgen jedes Einzelnen.
Hat die Arbeit mit den Menschen mit Demenz auch die Sicht auf die Kunstvermittlung allgemein beeinflusst?
Jochen Schmauck-Langer: Die Begegnung mit Menschen mit Demenz – vor allem, wenn die kognitiven Ressourcen deutlich eingeschränkt sind – ‚erdet’. dementia+art ist bei der Entwicklung seiner Museumsprogramme von Anfang an vom Museumsdienst Köln unterstützt worden. Mit einer Reihe von unterschiedlichen Formaten versuchen wir der Vielfalt jenes gesellschaftlichen Phänomens ‚Demenz‘ gerecht zu werden. Wenn sich die Vermittlung von Kultur konsequent auf das Krankheitsbild ausrichtet, mag dies am Anfang zwar mühsamer sein. Zugleich erwachsen aber durch den – für den Museumsbereich – strikten Paradigmenwechsel hin zu einer lebensweltlich grundierten aktiven Teilhabe ohne Metaebenen deutliche Chancen.
Diese Art von Vermittlung und Kommunikation setzt keinen ‚Bildungshintergrund‘ voraus, sie ist nicht bloß ‚dialogisch‘, ‚psychologisch‘, therapeutisch oder elementarpädagogisch. Vielmehr ist sie strikt Teilhabe-orientiert auf eine von vielen Teilnehmenden (auch unserer Fortbildungen) als neu empfundene Art, die das Kunstobjekt in eine direkte Beziehung zum Betrachter bzw. zur Gruppe setzt und auf dieser Ebene bleibt. Der Vermittler ist dabei ’nur‘ Moderator. Das simpel klingende Konzept ist auch für gestandene MuseumspädagogInnen zunächst eine deutliche Herausforderung.
Dabei erweist sich die – ursprünglich und konsequent – für den ‚Demenzbereich‘ entwickelte ‚Teilhabe-orientierte Kommunikation‘ immer mehr als tauglich für andere Zielgruppen, vor allem jene, die über keine oder nur wenig Erfahrungen mit ‚Hochkultur‘ und formaler Kultureller Bildung verfügen – laut Besucherforschung über 50 (bis zu 90) Prozent der Bevölkerung. Auf der Basis von Wertschätzung, eigenen Ressourcen und Erfahrungen, jenseits von Bildungsauftrag und historischem oder kunsthistorischem Hintergrund erhalten sie die Möglichkeit, erst einmal ‚anzukommen‘: An einem Ort der ‚Hochkultur‘, an dem sie – idealerweise – mit ihren eigenen Erfahrungen ‚andocken‘ können.
Der aktuelle Impuls durch Eckhart Köhne, den Präsidenten des Deutschen Museumsbundes, zur Notwendigkeit, bessere Formen der aktiven Teilhabe im Museumsraum zu schaffen (FAZ 28.05.) öffnet Räume. Eine ‚Teilhabe-orientierte Vermittlung und Kommunikation‘ kann helfen, sie mit Leben zu füllen. Im Übrigen: Diese Art der Vermittlung soll die hochqualifizierten und hochspezialisierten kognitiven Vermittlungsprogramme (vor allem im Schul- und Erwachsenenbereich) nicht ersetzen. Es ist ein Vorschlag sie zu ergänzen.
Insofern wird bei dementia+art seit ein zwei Jahren der Blick weiter und bezieht unter anderem gesellschaftliche Fragen des globalen Phänomens Demenz mit ein, die wir unter dem Begriff „Das Wilde Denken“ zusammen mit unseren Kulturpartnern verfolgen werden.
Mich interessieren die entscheidenden Aspekte der Kunstwerke, wenn das Angebot entwickelt wird. Welche Parameter müssen erfüllt sein?
Jochen Schmauck-Langer: Äußere Barrierefreiheit setzen wir voraus. Ebenso wichtig ist, was man ‚innere‘ Barrierefreiheit nennen könnte. Sie betrifft eine Teilhabe-orientierte Kommunikation und Objektauswahl sowie die Moderation eines empathisch-neugierigen Vermittlers, der – sehr beweglich – dem einzelnen Teilnehmenden wie auch der Gruppe und natürlich dem Kunstwerk verpflichtet ist. Beides ist für eine fortschreitende und fortgeschrittene Demenz elementar. Was wir dabei konsequent suchen ist das Gespräch. Wobei oft nur ein Wort, ein Halbsatz, eine kurze Sequenz möglich ist, die wertschätzend an die Gruppe weitergegeben wird.
Wir wissen, dass Musik die Kraft hat, die neuronale Aktivität in Gehirnregionen, die mit Emotionen in Verbindung stehen, zu ändern (Stichwort ‚Neuro-Plastizität‘). Ähnliche Wirkungen werden nach neueren Untersuchungen dem Tanz zugeschrieben. (Siehe auch das Magazin KULTURRÄUME 10): Andreas Kruse, der Heidelberger Gerontologe, hat darauf hingewiesen, dass sich kulturelle Inhalte (Musik, Bilder…) besonders dazu eignen, jene ‚Lichtungen‘ anzusteuern, über die Menschen mit Demenz (auch in einer mittleren und fortgeschrittenen Phase) in Bezug auf ihre aktuellen Ressourcen erreicht werden können.
Als besonders intensiv erweist sich freilich die aktivierende persönliche Zuwendung, das Gespräch. Das heißt letztlich: Kulturelle Inhalte können über die emotionale Ansprache auch gezielt neuronale Aktivierungen hervorrufen. Diese Erkenntnisse über Inhalte und Form nutzt dementia+art im Museumsraum.
Von dieser Aufstellung und Ausrichtung her auf ein fortgeschrittenes Krankheitsbild erweist es sich als relativ einfach, dialogisch für Betroffene in einer relativ frühen Phase ‚nach oben hin‘ offen zu sein. (Wobei Menschen in einer frühen Phase nicht nur größere kognitive Ressourcen haben, sondern auch andere ‚Bedürfnisse‘/Ängste, wenn es darum geht, an einem solchen öffentlichen Raum teilhaben zu können (Fragen der bedrohten Identität; der gesellschaftlichen Orientierung stehen hier wohl im Vordergrund).
Die ‚späte Phase einer Demenz‘ versuchen wir durch Outreach-Programme des Kölnischen Stadtmuseums zu erreichen, wo ich (auf Kölner Stadtgebiet) begleitet von einem Akkordeon-Musiker mit „Das Alte Köln erleben“ in Pflegeeinrichtungen gehe.
Als Historiker habe ich für die hochaltrige Generation (>80) besonders jene Zeit im Blick, die von der Gedächtnisforschung als ‚Erinnerungshügel‘ bezeichnet wird (das Alter von etwa 10 bis 25 Jahren). Für die ‚aktuelle’ Generation sind das die 20er bis 60er Jahre. Ich versuche sodann, p o s i t i v e lebensweltliche Erfahrungsräume zu nutzen (ein Beispiel wäre Max Liebermanns ‚Rasenbleiche‘). (Das zeigt das Beitragsbild sehr schön! Anm. d. Red.)
In meiner Praxis kommen aber auch vielfach nicht so ‚leicht‘ zugängliche Arbeiten vor wie ‚Liegender Akt mit Vogel‘ von Picasso, Hermann Scherers Skulptur ‚Die Schlafenden‘, Jeff Wall, Duane Hanson oder Jannis Kounellis‘ ‚Tragedie Civile‘. Entscheidend ist stets die Möglichkeit einer Teilhabe, bei der die Besucher aufgrund ihrer aktuellen Ressourcen die entscheidenden Beiträge geben. Paradigmenwechsel bedeutet hier für mich: eine Auswahl der Objekte nicht unter dem Gesichtspunkt zu treffen, dass man als Kunstvermittler gelernt hat, zu allem etwas zu sagen, sondern ob es einem gelingen könnte, die Teilnehmenden so zu aktivieren, dass sie das gemeinsam vermögen – ohne die Zuhilfenahme von Metaebenen (die ihnen in der Regel nicht mehr zur Verfügung stehen).
Die Objektauswahl ist somit nicht nur für die Betroffenen sondern auch in Bezug auf die Kunstvorerfahrung der Begleitenden von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Anklang an das Krankheitsbild nutzen wir dabei die non-verbalen Formen von Emotionalität, wissend, dass Mimik, Kinetik und Proxemik wichtige Erkenntnisebenen in einem Porträt, einer Familiendarstellung, von Menschen in einer Landschaft… sein können. Ein genetisch gut verankertes (Wieder)Erkennen solcher Bild/Objektebenen als jene lebensweltlich geprägten Erfahrungen wird sodann vom Moderator gezielt als mögliche Ressourcen der Teilnehmenden angesteuert.
Wichtig an dieser Stelle: Unsere Führungen (90 Minuten, zu drei oder vier Objekten) benötigen keine Versuchsanordnung, keine Hilfskräfte im Museumsraum, keine vorbereiteten Sitzgelegenheiten, keine Flut an sinnesaktivierenden Materialien. Wir stellen auch keine ‚Aufgabe‘. Das O b j e k t, in dem, was es ist, und das gemeinsame Entdecken stehen völlig im Vordergrund.
Eine einzige Zutat erweist sich jedoch als höchst wirksam! Wo es passt, unterstützen und verstärken ‚musikalische Akzente‘ (ein Volkslied, ein Schlager, ein Stück klassische Musik – vom Smartphone mit Bluetooth-Verstärker) den emotionalen Kontext eines Objekts zum Schluss der Betrachtung. Und so ist es keine Seltenheit, wenn eine Gruppe von Menschen mit Demenz singend durch einen Teil des Museum Ludwig zieht…
Teilhabe ist ein zentraler Begriff, wenn es um Menschen mit Demenz geht. Was kann darüber hinaus noch ein wichtiger Gedanke in diesem Zusammenhang sein?
Jochen Schmauck-Langer: Das Motto von dementia+art ist: Eine Schöne Zeit erleben. Das versuchen wir zu gewährleisten. Teilhabe, auch kulturelle, ist sowohl im Grundgesetz als auch in der UN-Charta als Menschenrecht verankert. Es ist mithin schlicht eine Frage der Gerechtigkeit, auch für Menschen mit Demenz kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.
Für Menschen mit Demenz, die ständig aufgrund der Erkrankung die Erfahrung machen, dass sie schon wieder irgendetwas nicht mehr können, nicht mehr wissen, ist die Erfahrung, an einem so herausgehobenen öffentlichen Ort etwas beitragen zu können, von großer Bedeutung.
Die positive Wirkung ist vielfach auf den Gesichtern abzulesen: zugewandt, eindeutig; die Rückmeldungen von Angehörigen und Betreuenden sprechen von Reaktionen, die auf unerwartet lebendige Teilhabe und ein hohes Maß an Konzentration hinweisen.
Diese Wirkungen können manchmal auch eine Zeitlang anhalten – allerdings handelt es sich weder um eine Therapieform noch um ein Bildungsangebot im klassischen Sinn. Ressourcenstärkung, das Recht auf Teilhabe und Lebensqualität sind für uns jedoch realistische Ziele. An solchen Orten der `Hochkultur´ zeigen wir, jenseits der medial vorherrschenden medizinischen Schreckensmeldungen, was ungeachtet einer Demenz möglich ist.
Freilich, um keine Illusionen aufkommen zu lassen: Demenz ist eine fortschreitende neurologische Erkrankung mit bis zu zwanzig Jahren Vorlaufzeit im Gehirn. Selbst 24-Stunden Kommunikation, Musikaktivierung, Tanz oder Museumsbesuche (was unmenschlich wäre) vermögen das wohl kaum zu ändern.
Welche strukturellen Voraussetzungen sind notwendig, um Programme für Menschen mit Demenz im Museum zu ermöglichen?
Jochen Schmauck-Langer: Äußere und innere Barrierefreiheit nannte ich schon. Der Demenz/Pflege/Betreuungsbereich ist gekennzeichnet durch hohe Fluktuation. Um dauerhafte Strukturen zu ermöglichen, haben wir erstmals in Deutschland eine Rahmenvereinbarung zur Kulturellen Teilhabe geschlossen (mit den Cellitinnen, einem kleineren Wohlfahrtsverband unter dem Dach der Caritas) – und hoffen, dass das Beispiel Schule macht.
Was die Kosten angeht: Solche Museumsangebote sind aufwändig in der Gestaltung. Bei einer Pauschale von 75 Euro für die ganze Gruppe (einschließlich Eintritt und Führung) gewiss nicht kostendeckend. Die Kultureinrichtungen sind jedoch aufgefordert, sich auch in diesem Bereich der Inklusion zu positionieren. In Köln werden auf Seiten des zentralen Museumsdienstes zusätzliche Kosten über Sponsoren refinanziert. Eine Beteiligung der Betroffenen ist gewiss möglich. Menschen mit Demenz ab einer fortgeschrittenen Phase haben oftmals jedoch einen gesetzlichen Vertreter. Ihnen bleibt (etwa in Pflegeeinrichtungen) nicht selten nur ein „Taschengeld“ für Zigaretten, Frisör oder Süßes. Auch das gehört zu den praktischen Barrieren kultureller Teilhabe, die bei solchen Angeboten in den Blick genommen werden sollten.
Vielen Dank, lieber Jochen Schmauck-Langer für den interessanten Einblick in Ihre Arbeit und die Bereitstellung der wunderbaren Fotos! Ich werde am Thema dranbleiben und die Reihe fortführen. Der nächste Beitrag wartet quasi schon auf Veröffentlichung! Ich freue mich auch sehr, wenn weitere Kolleginnen oder Kollegen hier in den Kommentaren über ihre Erfahrungen mit dieser Zielgruppe berichten mögen. Auch Fragen an die Experten können hier gestellt werden!!
[…] über Kunstvermittlung für Menschen mit Demenz – die Zweite! — Kulturtussi […]
Eine tolle Idee mit „dementia+art“! Solch eine Idee wäre ja echt hilfreich für die Menschen mit solcher Krankheit, wie bei unserer Großmutter. Die brauchen viel Aufmerksamkeit, sowie auch die Aktivierung ihrer Gehirnkräfte. Gratis für diese lehrreiche Erfahrung!
Ja, es wäre toll, wenn solche Projekte mehr Unterstützer hätten und sich in die Fläche entwickeln können. Denn sie werden nicht nur in den Großstädten gebraucht. Sicher ist dieses Modell eines, das in Zukunft hoffentlich viele Nachahmer findet.