Gerade wurde auf Twitter (und später auch auf Facebook) eine kleine aber feine Spielerei angezettelt, die wichtige Vertreter aus Philosophie, Literatur und Kunst mittels der lustigen kleinen Emojis zitierten. Der Verweis wurde durch Assoziationen ihrer Werke mit den bunten Bildern hergestellt. Spielerisch und sich gegenseitig befeuernd nahmen im Verlaufe viele Mitspieler den Ball auf und kramten in ihrem Kulturwissen. Ich fand es großartig und sehe in der Sache viel Potenzial für die Kunstvermittlung.
Die stilisierten Bildchen der Emoji haben mich schon öfter angestachelt. Wer, wie ich, viel mit Bildern zu tun hat, wird verstehen, was daran Spaß macht. Zeichensprache ist universell und in ihrer allgemeinen Verständlichkeit machen die Bilder aufmerksam auf das Wesentliche.
Ein Zylinder und ein Glas Rotwein für Toulouse Lautrec? Bei wem vervollständigt sich da das Bild des kleinen Malers, wie er in der Moulin Rouge unter die Röcke der Tänzerinnen blickt und die Nächte des fin de siècle durch feiert? Und wer weiß, wer mit einem Messer und einem Ohr gemeint ist? Ja, sorry, es ist nun mal die meist erzählte Anekdote der Kunstgeschichte. Bei Kippenberger und dem Frosch muss man schon ein bisschen mehr wissen … Aber er bringt „Insidern“ einfach riesigen Spaß, dieser Moment des Erkennens.
Kramen wir in Erinnerungen! Plötzlich packt uns der Ehrgeiz und wir versuchen, verschüttetes Wissen hervorzuholen. Es ist ein Gedächtnistraining der besonderen Art. Das und der Gewinn durch Spiel und Spaß (bitte nicht unterschätzen!!) machen die ganze Emoji-Sache zu einer sinnhaften Angelegenheit! Außerdem mag ich es, wenn das Echzeit-Medium Twitter mal wieder so richtig ausgereizt wird. Ich fand es super, wie es irgendwann richtig zündete und quasi im Minuten-Takt neue Ideen und Anregungen eintrudelten. Ich weiß nicht, wie es den anderen ging. Aber durch jede neue Künstler-Emoji-Kombi schaute ich noch einmal anders durch die winzigen Ideogramme.
Deswegen beschloss ich, darüber auch zu bloggen. Angestachelt hat mich letzen Endes ein Tweet, in welchem das in letzter Zeit so oft bemühte „banal“ herangezogen wurde. Den hab ich hier aber bewusst nicht noch mal zitiert, weil ich keine Lust auf entsprechende Endlosschleifen hatte! Gestern verselbständigte sich die Sache ein bisschen und die Spielerei tauchte auf Kanälen von Museen und Kunstzeitschriften auf. Eigentlich ein Grund, sich zu freuen. Denn das Ding geht viral. Wenn es nicht den Wermutstropfen gäbe, dass keine Verweise auf die Quelle beigefügt werden. Ein bisschen mehr Medienkompetenz würde ich mir gerade bei offiziellen Accounts dann doch wünschen. Anika hat in ihrem Blogbeitrag schon erzählt, wie sie angesteckt wurde und auf die Kunstgeschichts-Emojis kam. Patient Null für die Idee an sich war wohl Nils Marquardt!
Die Kunst der Zeichen
Übrigens ist das Spiel mit der stilisierten Kunst nicht so ganz neu. Der Künstler Stano Masár hat sich zum Beispiel damit beschäftigt und berühmte Kunstwerke als Piktogramme gezeigt. Und wer hat die Piktogramme erfunden? Das war Gerd Arntz , der zum Umfeld der Kölner Progressiven gehörte. 2006 gab es eine interessante Ausstellung im Stuttgarter Kunstmuseum, die noch einige Künstler mehr zeigte, die sich mit diesen Zeichensystemen auseinandersetzten. Ihr seht, das Thema ließe sich noch weiter verfolgen.
Um noch einmal auf den Gewinn für die Kunstvermittlung zu kommen – ich bin der Meinung, dass Vereinfachung gepaart mit Humor nicht gleichbedeutend mit Respekt- oder Sinnlosigkeit zu sehen ist. Es ist vielmehr äußerst spannend, zu entdecken, dass wir für die Kunstgeschichte ein gemeinsames Referenzsystem haben, das hier abgerufen werden kann. Es kann und muss auch nicht viel mehr bedeuten als im Augenblick des spielerischen Austauschs eine gegenseitige Vergewisserung.
Komplexe Inhalte einfach darzustellen, das ist eine hohe Kunst! So sehe ich auch in Twitter eine hervorragende Schreibschule! Ist es Zufall, dass oft auch der Faktor Humor dabei ist? Ich konnte mich beispielsweise auch schon für die Tiny Tales herzlich begeistern. Und um die Nummer noch um das Bewegtbild zu ergänzen: die 30second-Bunnies sind die Essenz berühmter Filmklassiker. Ist es nicht erstaunlich, was man in einer halben Minute alles vermitteln kann? Auch wenn man den Titanic-Film nicht gesehen hat, mittlerweile werden die meisten diese zentralen Szenen des Filmes kennen.
Sehr gut hat mir auch die Aktion des Theater Dortmunds gefallen, die mit den Emojis ihre Stücke zum Raten angeteasert haben. Das funktioniert natürlich bei den Klassikern besonders gut. Löst aber auch Neugier bei unbekannten Stücken aus. Interessant auch in der Kombination mit der Ein-Satz-Inhaltsangabe.
Für alle, die das nochmal nachlesen möchten, habe ich ein Storify der bisherigen Emoji-Kunstgeschichten auf Twitter gemacht. Mit dem Versuch, alles chronologisch zu sortieren. Da sieht man auch schön, wie sich das gegenseitig befeuert hat. (Interessant, wie Storify die Bildchen auflöst.)
[<a href=“//storify.com/kulturtussi/emoji-kunstgeschichte“ target=“_blank“>View the story „Emoji-Kunstgeschichte“ on Storify</a>]
Ich halte es übrigens für notwendig, den Vermittlungsgedanken differenziert und von allen Seiten zu betrachten. Auch wenn ich wirklich nicht im Verdacht stehe, an der Idee der konservativen Deutungshoheit zu kleben, mag ich zum Beispiel kommerzielle Werbung gar nicht, in der Kunstwerke schlecht oder unpassend eingesetzt werden. Das ging mir unlängst bei einem Posting vom Mediamarkt so, wo Munchs Schrei verwurstet wurde. Aber ich bin bei Werbung von großen Unternehmen auch ein bisschen zickig 🙂
Die Kulturgeschichte mit den Emojis geht weiter. Ob Opern, Weltliteratur oder Künstler – es gibt sicher noch jede Menge Einfälle, wie man sie mit ein paar kleinen Bildchen darstellen kann. Und wenn der ein oder andere erst mal googeln muss, was denn dahinter steckt? Wäre doch eine schöne Anstiftung zur Beschäftigung mit Kultur, oder?
Hallo Anke,
danke für deine Zusammenfassung, auch das Storify und den wichtigen Hinweis, das auch Urheber auf Social Media-Kanälen gern namentlich als solche gewürdigt werden sollten! Genial finde ich die Idee des Theaters Dortmund, wunderbar!
Man sollte das nicht so engstirnig sehen wie so manche Kritiker, es geht einfach damit, sich spielerisch mit Kunst zu beschäftigen.
Viele Grüße,
Marlene
[…] nachvollziehen kann, wie sich ein kreativer Impuls weiterentwickelt hat. Die Geschichte mit den Emoji hatte zumindest zwei Faktoren, die ansteckend sein können: Einfachheit und eine Art […]
[…] Ganz aktuell klärte mich die shz.de auf, dass das „Duckface“ (entenhaft gespitzter Mund) vom „Fish-Gabe“ (wie ein Fisch leicht geöffneter Mund bei schräggestelltem Kopf) als neuer Selfie-Trend abgelöst wurde – na sauber! Und schon wieder zum Selfie gewordenes Emoticon (= Emoji) mehr. Genau das formt, verkürzt gesagt, die „Weltsprache der Selfies“ (immer diese verabsolutierenden Begrifflichkeiten *schüttel*). Emotionen und Gefühle werden durch Emoticons ausgedrückt. Die meisten von uns nutzen sie, wenn wir uns im Netz bewegen. Wir betonen so für jeden ersichtlich unsere Gefühlslage ohne auf Worte angewiesen zu sein. Emojis sind kodifiziert und klar erfassbar, weil sie auf die wesentlichen Emotionen und Gefühle reduziert sind. Sie wirken nun auf die Mimik der Selfies ein, so Wolfgang Ullrich, Anika Meier und andere. Anke von Heyl beleuchtet die Wirkkraft des Gefühlsspiels der Emojis für die Kunstvermittlung. […]