Ein Gastbeitrag zur Kunstvermittlung


Allgemein, Kulturvermittlung, Methoden / Montag, Mai 11th, 2015

Yay! Ich hab sehr lange gebaggert! Und nun habe ich meine liebe Kollegin Karin dazu bekommen, ihre Sicht als professionelle Kunstvermittlerin einmal ausführlich darzulegen. Mit Karin arbeite ich seit 20 Jahren immer wieder zusammen. Sie hat mich eigentlich zur Museumspädagogin gemacht, sie ist meine Mentorin! Und eine der besten Kunstvermittlerinnen, die ich kenne. Ich bin sehr dankbar, dass sie sich die Zeit genommen hat, um auch noch mal die Postition von uns Kunstvermittlern zu stärken. Mit richtig schlagkräftigen Argumenten. Sie erzählt ausführlich aus ihrem Job. Mit schönen Beispielen. Ich kann euch das nur wärmstens ans Herz legen!!

karinRottmann

Ich heiße Karin Rottmann und arbeite seit mehr als 30 Jahren als Museumspädagogin und seit knapp 20 Jahren als hauptamtliche Mitarbeiterin beim Museumsdienst Köln. Dort koordiniere ich die Schulangebote für immerhin 8 städtische Museen und konzipiere Programme. Über die vielen Jahre habe ich viele hundert Stunden in Kunstmuseen mit unterschiedlichen Gruppen gearbeitet. Das waren und sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Fasst man die Zielgruppen genauer, so sind das Kindergartengruppen, Schulklassen vom 1. Schuljahr bis zum Abitur, aber auch Erzieherinnen und Erzieher, Sozialarbeiterinnen und-arbeiter und Lehrende aus Schulen und Hochschulen, Studierende, Lehramtsanwärterinnen und –anwärter und Vermittlerinnen und Vermittler aus Museen, darunter sind natürlich auch viele Kunstschaffende aus Bildender Kunst, Musik, Theater und Tanz. Ich habe auch Gruppen mit Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen betreut, Migranten und Flüchtlinge, Projekte mit Menschen aus prekären Lebenssituationen, … und tue das auch weiterhin im Auftrag meiner Arbeitgeberin, der Stadt Köln.

Es gibt gute und schlechte Museumspädagogik

Zunächst möchte ich Herrn Ullrich in einem Punkt zustimmen. Es gibt miserable Museumspädagogen und –pädagoginnen. Aber es gibt auch schlechte Chirurgen und Chirurginnen oder Lehrer und Lehrerinnen wie in jedem anderen Beruf. Um ehrlich zu sein, ich wundere mich auch über die in letzter Zeit in immer mehr Museen angebotenen Programme für Mütter mit Kinderwagen oder über Geschenkgutscheine zum Muttertag mit Schminkkurs und anschließender Kurzführung. Die Suche nach neuen Zielgruppen verleitet so manche Kollegin und manchen Kollegen den Empfehlungen der Marketingstrategen zu folgen. Derartige Programmblüten sind zwar kurios aber durchaus legitim, wenn sie denn ihr Publikum finden.

Indem ich dies schreibe, revidiere ich meine Wertung über das Kuriose am Kinderwagen-Programm. Ich freue mich, wenn Mütter mit ihren wippenden Kinderwagen versuchen, den Ausführungen einer Kunstvermittlerin oder eines Kunstvermittlers zu folgen. Die Frauen erleben Zuspruch von Seiten des Museums, außerdem erfahren sie Gemeinschaft, lernen Gleichgesinnte kennen und erhalten Gesprächsstoff über den Museumsbesuch hinaus. Warum also nicht?

Kunstmuseen haben viel Potenzial

Gerade Kunstmuseen sind wunderbare Orte für Entdeckungen und eröffnen unendliche Möglichkeiten, sich selbst und seine Zeit, die Welt und ihre unterschiedlichen Kulturen und Kunst kennenzulernen. Kunst ist etwas zutiefst Menschliches und Kunst zu machen und über Kunst zu reflektieren unterscheidet uns von anderen Lebewesen. Man sollte keinem Menschen verwehren, diese Erfahrungen machen zu dürfen. Die mittelalterliche Malerei und Skulptur  diente unter anderem den des Schreibens und Lesens Unkundigen die Geschichten der Bibel und Heiligen kennenzulernen  und natürlich auch der religiösen Unterweisung (durch den Geistlichen). Die Schöpfer dieser „Bilder“ begriffen sich noch nicht als Künstler, aber sie haben Kunst geschaffen und diese Kunst verstanden die damaligen Menschen, auch die „ungebildeten“. Warum sollten heutige „ungebildete“ Menschen das nicht können. Der Erlösungsgedanke ist im leidenden Christus der romanischen Kruzifixe im Museum Schnütgen erlebbar. Er „veranschaulicht“ auf sehr emotionale Weise und direkter als ein theoretischer Diskurs den christlichen Glauben. Es ist jedoch die Frage, ob ich mich diesen Erkenntnissen über die Methode der Hermeneutik nähern muss oder ob das auch über andere Methoden geschehen darf.

Sternstunden

In meiner Arbeit in den (Kunst-)Museen erlebe ich immer wieder wunderbare Gespräche mit Publikum, die schönsten nenne ich gerne „Sternstunden“.

Vor vielen Jahren gab es im Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung von Christo und Jeanne-Claude zur Verhüllungsaktion der Pont Neuf, die der Fotograf Wolfgang Volz in seinen Fotos dokumentiert hat. In einer Familienführung äußerte ein 9-jähriges Mädchen, dass die „Brücke ein Brautkleid“ trüge. Ich erinnere mich, dass wir alle sprachlos von der feinsinnigen poetischen Deutung des Kindes über die Kunstaktion waren.
Nun mag eingewendet werden, dass dieses Kind vielleicht besonders gefördert wurde. Sternstunden habe ich jedoch auch mit vielen anderen Gruppen gehabt, die ich gar nicht alle aufzählen kann, denn eigentlich erlebe ich es andauernd, dass Besucherinnen und Besucher im Museum etwas Einzigartiges entdecken und mich als ihre Begleiterin und Moderatorin daran teilhaben lassen. Ich möchte mich daher auf die Zielgruppen aus prekären Milieus konzentrieren, die im Artikel von Herrn Ullrich Gefahr laufen, negative Erfahrungen im Museum zu machen.

helden
Hier ein Schauspieler, der bei dem Projekt „Mannsbilder“ mitgearbeitet hat. Es wurde eine Dokumentation gedreht.

So erinnere ich mich an einen jungen Mann in einer Resozialisierungsmaßnahme, der sich am Projekt „Mannsbilder“ im Wallraf-Richartz-Museum über Kunstwerke der Barockzeit mit seiner Rolle als Mann auseinandersetzte. Das Gemälde „Alexander der Große und Diogenes“ von Gaspar de Crayer provozierte den Mann. Er reagierte spontan mit der Bemerkung: „Die Rittertranse hat Respekt!“.  Jetzt rümpft sicherlich so mancher Leser und manche Leserin die Nase. Der 18-jährige, der mit 15 Jahren eine Haftstrafe in einem Jugendgefängnis durchleben musste, hatte intuitiv die Bildaussage erfasst. Ich hatte für einen kurzen Moment das Gefühl, dass ich dem Projektteilnehmer nichts Neues vermitteln könne Der Barockmaler hatte die Szene so  gestaltet, dass das Gesicht des Diogenes bereits von der Sonne beschienen ist und der große Herrscher den erfragten Wunsch bereits erfüllt hatte. In den vielen Veranstaltungen, die ich zu diesem Bild durchgeführt habe, brauchte es in der Regel geraume Zeit, bis das Publikum die Szenerie und die Genialität des Künstlers erfasst hatte, beispielsweise die dramatische Gestaltung von Mimik und Gestik der Protagonisten, die Psychologie der Situation, die Dramaturgie der Bildkomposition…  Der junge Mann hat das alles sofort gesehen. Vielleicht war das Erfassen der psychologischen Situation von interagierenden Personen von lebenswichtiger Bedeutung für einen Menschen, der Lebenszeit im Gefängnis verbringen muss(te). Aber auch wenn dem so war, zeigte er doch eine sehr große Kompetenz bei der Ausdeutung des Kunstwerkes. Die Projektgruppe war übrigens begeistert von den Bildern, die wir unter Gendergesichtspunkten ausgewählt hatten.

madonne
Das Ergebnis des „Madonnen“-Workshops – eine Ausstellung mit den Fotos, auf denen sich die Teilnehmerinnen mit unterschiedlichen Attributen inszenierten.

Nun hoffe ich nicht zu langweilen, wenn ich ein weiteres Beispiel aus meiner Arbeit mit Teilnehmerinnen aus prekären Milieus heranziehe. 10 junge Frauen, die über einen Streetworker für das Projekt „Madonnen zwischen Eva und Maria“ gefunden wurden, beschäftigten sich unter anderem im Wallraf-Richartz-Museum mit Stefan Lochners „Madonna in der Rosenlaube“. Sie bemerkten, dass der Maler immer denselben blonden Frauentyp gemalt hat. Wir kamen zu dem Schluss, dass dieser Mädchentyp, wie er wohl als Schönheitsideal im mittelalterlichen Köln zu finden war, für das Vorbild der Mutter Gottes gedient hatte. Nun bemerke ich, dass die dunkelhaarigen Mädchen etwas beschäftigte. Irgendwann rückten sie mit der Frage heraus, ob Lochner, würde er heute leben, seine Madonnen auch mit dunklen Haaren malen würde? Im Film, der das Projekt begleitete, sagen alle Mädchen, die blonden und die schwarzhaarigen, in einer Performance sehr selbstbewusst „Wir sind die Kölner Madonnen von heute!“

Mir wurde neben viel Lob auch Kritik zuteil, beispielsweise, warum ich für „die“ solche Programme machen würde? Eine andere Frage lautete: Was Jugendliche in dieser Art Projekt denn lernen würden? Das sei doch Disneyland im Museum!

In der Regel antworte ich darauf, dass öffentliche Museen einen Bildungsauftrag hätten, und dass zum Beispiel die Stadtpolitik sehr genau darauf achte, dass wir diesem Bildungsauftrag gerecht werden, und zwar für alle Milieus. Die vielen Stiftungen und Verbände unterstützen diese politische Forderung zudem mit Fördergeldern, womit diese Art Programme konzipiert und finanziert werden können.

Aber die besten Projekte und Programme taugen nichts, wenn die Methoden nicht stimmen. Unsere Gesellschaft hat sich verändert. Den Bildungsbürger gibt es bald nicht mehr in der traditionellen Form, das Publikum will nicht mehr nur passiv sein. Die Menschen wollen partizipieren, wollen selbst Teil des Museums werden. Außerdem wollen viele Besucherinnen und Besucher Spaß haben.

muslimen

Der Museumsdienst Köln wird in diesem Jahr zu seinem 50-jährigen Bestehen an den Kölntagen (mit freiem Eintritt für Kölner Bürgerinnen und Bürger) in den städtischen Museen besonderes Programm anbieten. Letzte Woche fand dieser Tag im Museum Schnütgen statt, einem Museum für sakrale Kunst vom Mittelalter bis zum 19.Jahrhudert. Ich lud meine Kolleginnen vom Muslimischen Bildungswerk ein, mit den Museumsbesucherinnen und Besuchern gemeinsam Wörter zu finden, die mit unseren Glaubensvorstellungen zu tun haben.

Da fanden wunderbare Gespräche statt wie das am Taufbecken: „Habt Ihr eigentlich auch so etwas wie Taufe im Islam?“ – Ja, die Muslime haben auch eine Feier, die ein Neugeborenes der Gemeinschaft vorstellt. Es gib dazu einen wunderschönen Brauch: Dem Säugling werden dabei die Haarspitzen geschnitten und in Gold aufgewogen. Dieses Gold spendet man den Bedürftigen. Die Gruppen hatten den Auftrag, ein Museumsgraffiti auf dem Boden zu legen. (Zur Erklärung: Das ist eine Methode, die ich vor einigen Jahren entwickelt habe, man diskutiert in der Gruppe ein Wort für eine Aufgabe im Museum und gestaltet es mit Schnüren auf dem Museumsboden) Die Arbeitsgruppe schrieb mit goldenen Fäden das Wort „Feier“ auf den Boden. Beim gemeinsamen Rundgang gab es viel zu diskutieren.

graffiti

Beim Wort „diskutieren“ fällt mir Joseph Beuys ein, der sagte, dass all die Kunst im Museum nichts ist, wenn man nicht darüber kommuniziert. Kommunikation ist der Schlüssel in der Vermittlungsarbeit an den (Kunst-)Museen und dies ist kein Vorrecht von besonders Gebildeten oder Künstlern.

8 Replies to “Ein Gastbeitrag zur Kunstvermittlung”

  1. Einfach toll! ‚Dienende Kunstvermittlung‘, die Menschen hilft, Ihre eigene Erfahrungen zu machen – eben die Erfahrungen, die ihnen zutiefst eigen sind aber vielleicht noch komplett unentdeckt… heART history …
    Grosses Lob!

    1. Lieber Peter,
      danke für deine wertschätzenden Worte. Ich hoffe, dass es noch mehr Leser gibt, die verstehen, worum es geht. Leider haben es „Nicht-Netz-Themen“ ja immer etwas schwer mit der Aufmerksamkeit. Deswegen bin ich dir doppelt dankbar, dass du es in die Community hineingespült hast.
      Herzliche Grüße von Anke

  2. Toller Text und ein wunderbares Plädoyer für Kunstvermittlung. Eben nicht theoretisch abgehoben, sondern praktisch aus dem real-life.
    Ach, nicht nur ein Plädoyer für die Vermittlung, sondern für Museen generell. Ich mag den Satz „die Rittertranse hat Respekt“. Da weiß ich wieder warum ich im Museum arbeite.

    1. Lieber Markus,
      ich liebe diesen Satz auch sehr. Fürchte aber, dass sich genau an diesen Stellen die Geister scheiden. Es tut sehr gut zu wissen, dass es Museums-Professionals gibt, die verstehen, was dahinter steckt. Und sich nicht von einer „bildungsfernen“ Sprache abschrecken lassen! Ist schon interessant, was für ein Clash unterschiedlicher Haltungen sich bei der ganzen Diskussion um die Banalität auftut. Ja, es hat durchaus auch etwas mit Ideologien zu tun. Wenn man das im eigentlichen Wortsinne als Lehre von der Idee, der Vorstellung begreift, dann steigt man dahinter, wie wichtig es ist, die Diskussion auf einer Meta-Ebene zu führen. Aber genauso wichtig ist ein emotionales Bekenntnis! Danke dir für deinen Kommentar. Wir müssen bald einmal mehr Zeit zum Austausch haben. Herzlichst. Anke

  3. […] Ich hatte ja angekündigt, dass ich dranbleibe. Und hier ist es, das zweite Gespräch zur Kunstvermittlung. Diesmal mit Karin Rottmann vom Museumsdienst Köln. Wir kennen uns schon eine halbe Ewigkeit. (Ich hatte Ende der Neunziger ein paar Jahre ihre Stelle warmgehalten, als sie im Ausland war.) Und bis heute arbeite ich immer wieder projektbezogen mit ihr zusammen. Sie hat hier auch schon mal einen tollen Gastbeitrag geliefert. […]

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