Demenzprogramme im Freilichtmuseum


Kulturvermittlung / Montag, April 24th, 2017

Auf der Tagung „Zwischen den Welten“ lernte ich Rabea Badeda kennen und wir kamen darauf zu sprechen, welche zukünftigen Zielgruppen Museen im Blick haben sollten.  Rabea hat Geschichte und Deutsche Sprachwissenschaft in Würzburg studiert und danach ein zweijähriges Volontariat im LWL-Freilichtmuseum Hagen gemacht. Nach einer kurzen Phase als freiberufliche Historikerin, Lektorin und Kulturvermittlerin arbeitet sie nun fest in der Museumspädagogik zweier Museen: im Freilichtmuseum Hessenpark ist sie mit einer halben Stelle tätig und im Niederrheinischen Freilichtmuseum bekleidet sie eine viertel Stelle nachdem sie dort ein volles Jahr Elternzeitvertretung tätig war. Mich hat besonders interessiert, welche Erfahrungen sie bei der Entwicklung von Programmen für Menschen mit Demenz für das Niederrheinische Freilichtmuseum gemacht hat.

Rabea Badeda

Bislang habe ich mich mit meinen Interviews ja im Bereich der Kunstvermittlung für Menschen mit Demenz bewegt. Du arbeitest an verschiedenen Freilichtmuseen und bietest dort Programme an. Ich könnte mir vorstellen, dass der Zugang über Alltagsgegenstände etwas schneller funktioniert, als über die Kunstbetrachtung. Was hat dich dazu bewogen, Angebote für diese Zielgruppe anzubieten? Und wie bist du an die Sache herangegangen?

Rabea Badeda
Ich habe leider im privaten Umfeld viele Jahre Erfahrungen mit dem Thema Demenz sammeln dürfen, begonnen hat das etwa im Jahre 2002. Damals gab es noch kaum Angebote für Menschen mit Demenz, als Angehöriger war man aber auf der Suche. Als ich dann von den ersten Demenzprogrammen im Bereich der Kunstvermittlung hörte, war ich ganz begeistert.

Später im Freilichtmuseum kam mir dann der Gedanke, dass wir solche Programme ebenfalls anbieten könnten.  Wie du schon sagst, Freilichtmuseen arbeiten mit Objekten aus der Alltagswelt, das macht uns die Erinnerungsarbeit sehr viel leichter. Alte Waffeleisen, Waschbrett, Butterfass und Co lösen in der heutigen Seniorengeneration meist ganz automatisch intensive Erinnerungen an ihre Kindheit aus.

Zunächst habe ich mir überlegt, was ich wollte und für geeignet hielt. Dann habe ich mich intensiv in das Thema Demenz und die vielen verschiedenen Krankheitsbilder eingelesen. Natürlich war mir sehr vieles aus der Angehörigenperspektive bekannt, aber ich wollte auch eine fachliche Perspektive auf das Thema bekommen. Anschließend habe ich den Kontakt zu lokalen Kooperationspartnern aus dem Altenpflege- und gerontopsychiatrischen Bereich gesucht und bin Mitglied in zwei verschiedenen Netzwerken geworden. Darüber erhielt ich die Möglichkeit in einem Demenzcafé zu hospitieren. Das war sehr hilfreich, da ich auf diese Weise in Ruhe beobachten konnte, welche Ansprache funktionieren kann und welche nicht. Nachdem das Konzept stand, kam die Gruppe aus dem Demenzcafé als Testgruppe zu uns ins Niederrheinische Freilichtmuseum Grefrath. Die Gespräche mit den Pflegern und das Feedback waren unheimlich wichtig. Bevor wir dann gestartet sind, haben wir auch unsere Mitarbeiter im Aufsichtsdienst durch unsere Kooperationspartner schulen lassen.

In einem Filmbeitrag über deine Arbeit habe ich gesehen, dass die Teilnehmer oft und gerne die Worte „von ganz früher“ in den Mund nehmen. Planst du bewusst mit Gegenständen aus der Kinderwelt? Wie suchst du optimale Objekte für die Programme aus?

Rabea Badeda:
Ja, Gegenstände aus der Kinderwelt bieten sich sehr an. Der niederländische Psychogerontologe Huub Buijssen vergleicht das Vergessen bei der Alzheimer Krankheit mit einer Reihe Tagebücher für jedes Lebensjahr, die schrittweise von hinten nach vorne umkippen. Wenn die Erkrankung weiter fortgeschritten ist, erinnert sich der Patient oftmals nur noch an die ersten zehn Lebensjahre, dann nur noch an die ersten fünf. Weil mir wichtig ist, dass unser Angebot auch für Menschen mit einer weit fortgeschrittenen Demenz geeignet ist, konzentrieren wir uns daher auf Alltagsgegenstände aus der Kindheit. Die erste Wahl fiel auf das Themenfeld Spielzeug, weil die Objekte meistens positiv besetzt sind. Beim Thema Schule ist die Gefahr für Negativerlebnisse beispielsweise größer, da in den 1930er bis 1950er Jahren noch viele Schüler geschlagen worden sind.

Bei der Auswahl der einzelnen Objekte für das Programm ist mir sehr wichtig, dass sie gleich mehrere Sinne ansprechen. So eignet sich im Bereich Spielzeug zum Beispiel ein echtes Hanfseil, das sehr intensiv riecht oder Malkreide, die das typisch stumpfe Gefühl an den Fingern hinterlässt. Aber auch Puppen und Teddybären lösen bei Demenzpatienten (beider Geschlechter!) sehr intensive Regungen aus. Viele Teilnehmer halten und behandeln sie direkt wie Säuglinge, eventuell weil diese Objekte  gefühlt immer eine Seele haben. Daneben sind aber auch das Singen von Kinderliedern oder das Naschen von typischen Süßigkeiten der Nachkriegszeit absolute Highlights.

Wenn du eine Liste mit fünf Punkten erstellen müsstest, die für das Gelingen von Museums-Angeboten für Menschen mit Demenz notwendig sind, welche wären das?

Rabea Badeda:

  1. Eine gute barrierearme Infrastruktur mit sehr kurzen Wegen zwischen Eingang, Ausstellungsräumen und museumspädagogischen Räumlichkeiten – das ist besonders in Freilichtmuseen eigentlich schon die größte Herausforderung.
  2. Einen ruhigen, möglichst hellen und freundlichen Raum als Basislager für das Angebot, der nicht zu viele Ablenkungen bietet.
  3. Eine lose Reihung der Inhalte, die nicht aufeinander aufbauen. Bei Angeboten für alle anderen Zielgruppen sind wir es immer gewohnt, einen Bogen zu spannen: einzuleiten, darauf aufzubauen, Wissen zu vermitteln und die Besucher abschließend mit einem Lernerfolg zu verabschieden. Darum kann es bei Demenzprogrammen nicht gehen. Auch jemand, der vergessen hat, was er vor drei Minuten gemacht hat, sollte Freude haben können an dem, was er in diesem Augenblick gerade tut. Frustration führt schnell zu Aggression, daher sollte jeder Teilnehmer „alles können können“.
  4. Eine multisensorische Ansprache. Nur anschauen ist zu wenig, manche Teilnehmer haben bereits einen etwas leeren Blick. Wenn man ihnen nur etwas zeigt, nehmen sie es manchmal gar nicht wahr. Insofern benötigt man viele Hands-on-Objekte. Wir spielen mit den Spielzeugen, probieren sie aus, ertasten und beschnuppern sie. Mit typischen Naschereien der Nachkriegszeit sprechen wir auch den Geschmackssinn an, was sehr gut ankommt, und spätestens mit dem Singen von alten Kinderliedern werden auch die letzten Teilnehmer aktiviert.
  5. Der durchführende Museumspädagoge sollte möglichst gelassen und für alle Entwicklungen offen sein. Wir versuchen mit unseren Objekten Erinnerungen an die frühere Zeit anzustoßen. Wenn es gelingt, ist das ein toller Erfolg. Aber wir können nicht vorhersehen, welche Erinnerungen an ein Objekt geknüpft sind. Manchmal nimmt der Gesprächsverlauf dann eben eine ganz andere Wendung, aber das ist völlig o.k.

Die Arbeit für Menschen mit Demenz ist sicher von besonderen Herausforderungen geprägt. Gibt es eine Art Schlüsselerlebnis, das dich besonders beeindruckt hat? Was du aus dieser Arbeit vielleicht mit nimmst.

Rabea Badeda:
Das stimmt, da ist alles dabei: Ich habe schon mal einen unkontrollierten Schlag einstecken müssen und auch schon zwei Küsschen bekommen, eh ich mich versah. Aber bisher bin ich aus jeder Führung unheimlich zufrieden und glücklich herausgekommen, weil man spürt, wie die Teilnehmer in 120 Minuten aufblühen. Sie genießen die Atmosphäre und ich auch. Das bisher eindrucksvollste Erlebnis hatte ich mit einer Teilnehmerin, die schon seit längerer Zeit nicht mehr sprach und meistens auch einen sehr leeren Blick hatte. Als sie das Hanfseil in die Hand bekam und daran roch, griff sie fest zu und sah mir tief in die Augen. Sie ließ das Seil dann nicht mehr los. Als ich versuchte im Stuhlkreis weiterzugehen, stand sie auf und kam mit, das Seil fest umklammert. Später erzählte mir ihre Pflegerin, dass die Dame früher Reiterin war und mehrere Pferde zuhause gehabt hatte. Vermutlich hat der Geruch des Hanfseils Erinnerungen an diese Zeit ausgelöst.

Würdest du Freilichtmuseen grundsätzlich ermutigen, sich für Menschen mit Demenz zu öffnen? Wenn ja, was könnte sie dazu motivieren?

Rabea Badeda:
Auf jeden Fall, sie bieten sich einfach an. Die thematische Fokussierung auf die Alltagskultur ist das eine, daneben schaffen aber auch die jeweilige Kulturlandschaft mit Bachläufen und Teichen oder die Haltung alter Nutztierrassen sehr viele Sinneseindrücke. Allein die freilaufenden Hühner lösen bei vielen Menschen mit Demenz Erinnerungen an ihre Kindheit auf einem Bauernhof aus.

Wenn die äußeren Rahmenbedingungen wie ein barrierefreies Stück Gelände und geschultes Personal stimmen, dann sind Demenzprogramme im Prinzip sehr einfach auszuarbeiten. Da das Ziel nicht eine umfangreiche Wissensvermittlung ist, sondern vielmehr darin liegt, durch ein paar Objekte Gespräche über Erinnerungen auszulösen, ist der Rechercheaufwand im Vorhinein überschaubar. Zudem können wir aus unserer Erfahrung sagen, dass die Nachfrage nach den entsprechenden Angeboten sehr groß ist. Allerdings gehört dazu schon eine gute Vernetzung und Zusammenarbeit mit lokalen Kooperationspartnern im Rahmen der Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz. 

Abschließend noch: gibt es neue Ideen oder Formate für die Arbeit mit den Menschen mit Demenz, die du ausprobieren möchtest?

Rabea Badeda:
Am diesjährigen Internationalen Museumstag mit dem Motto „Spurensuche – Mut zur Verantwortung“ probieren wir in Grefrath etwas Neues aus. Gemeinsam mit unseren Netzwerkpartnern aus dem Altenpflege- und gerontopsychiatrischen Bereich versuchen wir uns an einem Mehrgenerationentag, der gezielt junge Familien und Menschen mit Demenz zusammenbringen soll. Der Hintergrund ist, dass Kinder oftmals einen sehr natürlichen Umgang mit demenzkranken Menschen haben. Mit einem speziellen Puppentheaterstück für Menschen mit Demenz, einer Tanzaktion sowie einer Clownpädagogin und verschiedenen Stationen alter Kinderspiele  wollen wir die unterschiedlichen Besuchergruppen zusammenbringen.

Vielen Dank für dieses Interview, liebe Rabea. Es wäre schön, wenn solche Programme weiter Schule machen würden. 

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