Das digitale Objekt. Eine Tagung im Deutschen Museum in München


Allgemein, Digitalisierung / Mittwoch, Dezember 19th, 2018

Nun hat mich in diesem Jahr schon zum dritten Mal der Weg nach München geführt. Und ich war tatsächlich zum ersten Mal im Deutschen Museum (Notiz an mich selbst: Öfter mal die Branche wechseln und links und rechts schauen!!). Welch ein Versäumnis. Denn das Haus ist hollywoodtauglich oder könnte ähnlich episch wie das legendäre Kunsthistorische Hauptdarsteller bei „Das große Museum“ sein. Endlose Weiten des Wissens. Und wie ich erfahren durfte: teilweise mit bis zu 5000 Besuchern täglich. Ich war wirklich beeindruckt, als ich die Räumlichkeiten durchlaufen habe, um zum Ort der Tagung „Das digitale Objekt“ zu gelangen. Diese wurde von Andrea Geipel und Johannes Sauter aus dem Team Deutsches Museum Digital organisiert und ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, dort aus der Besucherperspektive einen Beitrag zu liefern. Da es zwei Tage plus einen Abend sehr spannende Vorträge aus der Digitalszene gab, bin ich etwas überfordert, alles zu referieren. Einiges habe ich dazu ja bereits getwittert und etliche Beiträge werden wohl auch als Mitschnitt zur Verfügung gestellt. Das Deutsche Museum hat auch schon einen Artikel dazu auf seinem Blog veröffentlicht.  Meinen Beitrag möchte ich an dieser Stelle etwas ausformulieren. Vorher berichte ich aber gerne von einigen Erkenntnissen, die ich aus den Vorträgen mitgenommen habe. 

Der digitale Zwilling

Ich fand es ausgesprochen spannend, wie sich die Tagung um das digitale Objekt aufgestellt hatte. Da ich ja aus einer etwas anderen Filterblase stamme, hat mich die Sichtweise derjenigen, die sich ganz konkret mit der Digitalisierung beschäftigen, gut getan. Ich betone ja sonst immer gerne, dass ich mich mit den technischen Voraussetzungen eher weniger beschäftigen möchte. Aber eigentlich ist mein heimlicher Wunsch, dass ich mit denjenigen in den Austausch gehen kann, die sich mit der Umsetzung forschend oder professionell auseinandersetzen. Weil das so manchen Gedankengang anstößt und auch neue Perspektiven eröffnet.

An den beiden Tagen tauchte immer wieder der Begriff „digitaler Zwilling“ auf. Helmuth Trischler, der Forschungsleiter des Deutschen Museum verglich damit die Bemühungen des Hauses, eine neue digitale Ausrichtung zu konzipieren. Es wurde aber auch immer wieder thematisiert, ob denn das digitale Objekt zwingend ein Pendant im Physischen haben muss.

Was mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, waren die Visualisierungen digitaler Sammlungen, wie sie von Viktoria Brüggemann, Mark-Jan Bludau (Urban Complexity Lab Potsdam) vorgestellt wurden. Ich hatte das zwar schon einmal gesehen (auf der Mai-Tagung wahrscheinlich), aber jetzt im Zusammenhang der Tagung noch einmal besser begriffen, was für fabelhafte Ideen da umgesetzt wurden. Sehr zu meiner Freude sogar mit vorherigen Bastel-Workshops, in denen die Teilnehmer sich mit Papiercollagen ihre Vorstellung der Visualisierung erarbeiten.

Übrigens: das Handwerkliche skaliert nicht. Das war für mich der Spruch der Tagung. Vorgetragen von Mustafa Isik (ehemals BR, jetzt Gründer von Kerngedanke (noch ohne Webseite), der überhaupt in seinem Impuls am Vorabend der Tagung so manches Kluge gesagt hat. Ja, am Ende kommt es nämlich auf gut gemachten Content an und nicht auf irgendwelche digitalen Stellschrauben. Und natürlich sei es nicht einfach, diesen Content in der gewünschten Qualität und mit all den Feinheiten zu übertragen, die man aus jahrelanger Praxis im Analogen beherrscht. Das ist die Herausforderung, hier mit vielen kreativen Ideen nach vorne zu gehen. Und dann gab Isik dazu noch zwei wirklich wichtige Dinge zu bedenken: Explorativ sein geht nicht in engen Verhältnissen. Und etwas Neues zu etablieren ist schwierig, wenn man nicht auf gewisse Weise emotional involviert ist.

Analog oder digital – egal?

Später wurde noch in einem anderen Vortrag (dem von Björn Ommer von der Uni Heidelberg) darauf verweisen, dass die Digitalisierung eigentlich gar nicht der springende Punkt sei. Sondern dass es in erster Linie um das komplexe Thema der Informationsverarbeitung gehe. Daran angeschlossen formulierte Ommer den Rat, dass Geisteswissenschaftler und Informationswissenschaftler viel mehr miteinander reden sollte. Die Tagung hat dieses zumindest ganz dezidiert als Ziel gehabt und ein Großteil der Referenten brachte beide Hintergründe sowieso mit sich.

Auch wenn das rein Digitale aus ganz unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wurde (ein toller Beitrag kam auch von Till Kreutzer, iRights), so haben mich natürlich am meisten die Vorträge interessiert, in denen es um die Frage der Vermittlung ging. Franziska Mucha hat bei der Vorstellung der wegweisenden partizipativen Projekte, die sie im Historischen Museum Frankfurt verantwortet hat, schon gezeigt, welche Vorteile das Digitale bei Themen wie Audience Engagement haben kann. Und sie gab dem Auditorium auch den Denkansatz mit auf den Weg, ob digitale Objekte am Ende nicht oft auch viel greifbarer sein könnten als das analoge Objekt. Ich musste später noch einmal daran denken, als ich in der komplett überfüllten, eng gebauten und stickigen Florenz-Ausstellung der Alten Pinakothek war. Zudem wurde ich rüde zurechtgewiesen, als ich mir das ein oder andere Gemälde näher anschauen wollte. Ich hätte sehr viel mehr Kunstgenuss verspürt, wenn ich die Bilder in schöner hoher Auflösung digital angesehen hätte. Soviel zum Thema „Aura“. Da spielt für mich die Umgebung nämlich eine nicht unwesentliche Rolle.

Kontext is King

Wie auch immer. Für mich bleibt es vor allem da spannend, wo man mit den Bezügen der Objekte eine Verbindung zum Publikum herstellen kann. Benjamin Beil, der an der Uni Köln Digitalkultur unterrichtet, machte deutlich, wie wichtig die Verknüpfung der digitalen Objekte mit popkulturellen Praktiken sein kann. Und dass man speziell auf die Bedingungen der Präsentation achten muss. Es gäbe nichts Traurigeres als einen Flipper-Automaten in einer Spiele-Ausstellung, der hinter einer Glaswand steht. Interessant aber auch, was mit analogen Objekten passieren kann, wenn man sie in den musealen Raum transportiert. Ein schönes Beispiel für eine Gegenprobe zur Frage der Repräsentation.

Im Gedächtnis geblieben ist mir auch der Nutzer-Typ, den Michael Orthwein von der Hochschule Mainz uns vor Augen geführt hat. Auf dem Sofa liegend, passiv. Früher hat man Content für ihn vorbereitet. Da sich das Nutzerverhalten jetzt aber verändert habe, müsse man sich darauf einrichten, dass die Nutzer – besonders die der VR und AR – sich aktiver verhalten, dass sie die Narrative mitgestalten und man daher auch dringend neue Erzählformate brauche. An dieser Stelle setzt aus meiner Sicht die Vermittlung an, die laut Florian Wiencek von fluxguide das Verständnis von komplexen Prozesse und Situationen unterstützen können muss.

Rezeption zwischen Aura und Immersion. Die Begegnung von Publikum und Objekt in Zeiten digitaler Reproduzierbarkeit.

Ich hatte mir diesen sperrigen Titel meiner Präsentation überlegt, der ein bisschen auf die Zusammenhänge zielte, innerhalb derer ich mir das Objekt genauer angesehen habe. Für mich schoss nämlich sofort die Assoziation „Aura“ in den Kopf, als die Frage nach einem Beitrag kam. Aus meiner Perspektive, die sich speziell aus der Wahrnehmung der Kunst auf das Objekt richtete, ein nicht selten genutzter Begriff, wenn es um die Fragen der Digitalisierung geht. (Siehe auch meine Bemerkung zum Besuch der Florenz-Ausstellung oben). Was hat Walter Benjamin noch einmal genau gemeint, als er mit „Aura“ um die Ecke kam? Folgende Kriterien beschrieb er dabei: … einmalige Erscheinung in der Ferne, so nah sie sein mag …Das Hier und Jetzt des Objektes…UNNAHBARKEIT. ECHTHEIT. EINMALIGKEIT. Und er erwähnte besonders die späten Bilder van Goghs als Beispiel für diese echte Aura.

Hier habe ich mich an die Empörung erinnert, die durch den feuilletonistischen Blätterwald rauschte, als die Pinakotheken bei der fabelhaften Aktion #SunFlowersLive mitmachten. Und bei allem muss man sich fragen, wie eng diese Aura tatsächlich mit dem analogen Objekt verbunden ist. Lässt sich der Sinn, die Geschichte, der Gänsehautmoment nicht auch an anderen Aspekten festmachen? Sind nicht die späten Bilder van Goghs vor allem deswegen so atemberaubend, weil man damit eine tragische Biografie und unfassbare Kunstmarktpreise verbindet? Was bleibt von der Begegnung im Analogen? Die Faszination der flirrenden Pinselstriche des Künstlers? Ja, wenn ich da ganz nah an ein Bild herantreten kann, vielleicht sogar noch ein Pinselhaar in der dick aufgetragenen Farbe sehen kann. Dann ist das etwas Besonderes. Bei den fünf existierenden Versionen der Sonnenblumen werde ich das in meinem Leben aber nicht schaffen, sie alle in echt zu sehen. Versteht mich bitte nicht falsch. Das soll nicht gegen die Begegnung mit dem Original sein. Ich liebe es, Bilder live zu sehen, mich vielleicht sogar lange Zeit kontemplativ vor ihnen zu versenken, mich von aufregenden provokativen Installationen im Hier und Jetzt positiv schocken zu lassen. Das will ich an dieser Stelle aber gar nicht diskutieren. Dazu kann man ein anderes Mal auch viel sagen. Jetzt will ich aber auf die Möglichkeiten des digitalen Objektes abheben und diese vor allem gegenüber allen kulturpessimistischen Unkereien verteidigen.

Maßgeblich für die Gestaltung von Inhalten sind nicht mehr vordefinierte Ausspielwege. Diese sind ja heute zahlreich vorhanden. Stattdessen können wir nun stärker auf die Anforderungen und Gewohnheiten der Nutzer eingehen. Egbert van Wyngaarden hat sich Gedanken über digitale Formatentwicklungen gemacht.

Das Verschwinden einer scharfen Grenze zwischen Autorschaft und Publikum, die Bedürfnisse einer Remix-Kultur – wir müssen uns all diesen Erscheinungen des gesellschaftlichen Wandels auch in der Kunstrezeption stellen. Das gilt für die Repräsentation von digitalen Sammlungen ebenso wie für Konzepte für VR und AR. Die Messlatte müssen die Bedürfnisse der Nutzer sein. Allzu oft ist es leider noch umgekehrt. Da gibt eher der kunsthistorische Kanon oder die Vorstellung von Bildungswissen den Takt vor.

Bin ich schon drin?

Für mich sind dabei die Online Sammlung des Rijksmuseums oder die des Städels gute Beispiele, wie man den Zugang zum digitalen Objekt gestalten kann. Je mehr mediale Anreicherung, desto größer das Erlebnis. Ganz entzückt war ich zum Beispiel vom Boschprojekt. Da entwickelt für mich das digitale Objekt eine unbeschreibliche Aura!

Noch schöner, wenn es Möglichkeiten zu eigenen schöpferischen Annäherungen gibt. Da glänzt der Coding da Vinci Kosmos am Firmament. Davon bitte gerne mehr. Das passt zu dem Appell, den ich auf der Tagung hörte (sorry, ich habe vergessen, wer das gesagt hat), dass die Museen sich Open Access als wichtige Aufgabe auf die Fahnen schreiben sollten. Und vor allem, dass sie diesen auch noch mitgestalten sollten.

Denn auch die wunderbarsten aufwändig gemachten VR und AR nützen nichts, wenn sie inhaltlich hinter dem Technischen zurückbleiben. Was ich damit meine, habe ich damals nach dem Besuch der Modigliani-Ausstellung in der Tate beschrieben.

Zugang gestalten – das wurde ja schon mehrfach auf diversen Tagungen besprochen. Die Chancen, die das digitale Objekt hier bietet, sind dabei längst noch nicht ausgeschöpft. Für kann das vor allem eingelöst werden, wenn wir auf die zentralen Schritte von Audience Development setzen. Denn: Whilst some parts of the population are being ‘double served’ by physical and digital cultural offerings, others remain on the outside. This means that, at least for some, technology is not a way to drive cultural engagement. Das habe ich hier gelesen: Secretary of State for Digital, Culture, Media and Sport Rt Hon. Matt Hancock : Policy paper – Culture Is Digital Published 7 March 2018. Ein wichtiger Punkt und Ansporn für eine Haltung, die impliziert, dass man möglichst viele Menschen erreichen möchte. Auch die, die nicht schon per se Zugang zur Kunst haben.

Die Tagung „Das digitale Objekt“ war für mich ein wichtiger Schritt, sich noch einmal genau zu vergewissern, was ich mit dem digitalen Objekt verbinde. Mich hat es aber vor allem wieder dazu gebracht, die Grundsätze für das Digitale aus mehreren Perspektiven neu zu denken. Alles in allem wird die Sache eigentlich immer komplexer. Deswegen ist es fantastisch, wenn der Diskurs über best practices weiter geführt wird. Und vor allem, wenn man sich mit neuen Ideen weiter vorwagt!

Praktischerweise wurden die Vorträge mitgefilmt und sobald diese online sind, trage ich das gerne nach. Außerdem soll noch eine Publikation der Beiträge erfolgen. Bis dahin wird sich die Erde noch ein wenig weiterdrehen und vielleicht sogar einige gute Projekte mehr hervorbringen. Welche digitalen Objekt-Möglichkeiten haben euch denn bislang überzeugt? Oder gibt es Projekte, die man hätte besser machen können? Mich interessiert, was ihr denkt!

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