„Wer dem Publikum hinterherläuft, sieht doch nur dessen Hinterteil.“ Ich bin nicht sicher, ob Goethe das tatsächlich einmal sagte oder schrieb. Aber ich bin sicher, dass in diesem Zitat ein Denkfehler steckt. Mich zumindest würden zwei Dinge sehr interessieren: Warum läuft es weg? Und wohin läuft es denn? Ich verstehe zwar die Argumentation, dass man sich bei der Produktion nicht unbedingt nach dem Publikum richten muss, aber sobald man eine professionelle Besucherorientierung (vor allem in der Vermittlungsarbeit) anstrebt, wird diese Frage zentral. Dazu kommen für mich weitere Fragen: wo kommt es denn her, das Publikum? Und was passiert, wenn es denn da ist? Es gibt in diesem Feld eine Menge zu beobachten, zu analysieren und im Umkehrschluss auch zu gestalten.
Für meine Arbeit hat sich die Idee des Customer Journey Mappings als recht hilfreich erwiesen. Wieder eine Methode, die sich aus der freien Wirtschaft abgucken lässt. Denn der Gedanke, Besucher*innen wie Kund*innen zu betrachten und dazu mehrere Kontaktpunkte bis zum „Kauf“ eines Produktes abzubilden, birgt viel Potenzial. Klar, Museen wollen nichts verkaufen. Oder doch? Ich habe den Gedanken einer „Kundenreise“ einmal im Hinblick auf einen Museumsbesuch durchgespielt.
Im Zusammenhang damit durchläuft das Publikum mehrere Phasen des Kontaktes. Jede dieser Phasen könnte man in ein Vielfaches von kleineren Schritten aufteilen. Ich belasse es aber erst einmal bei einem groberen Raster. Für meine Besucherreise nehme ich den Ansatz einer Persona mit ins Geschehen und handele das anhand einer Besucherin ab, die ich Mona nennen will! Wir stellen uns nun ihre Reise vor und das Ziel wäre ein Museum. Dass man hier zahlreiche Varianten (Kulturorte, Personas) durchspielen kann, ist wohl jedem klar, oder?
Phase 1: Die Aufmerksamkeit
Mona befindet sich in ihrer normalen Umgebung, in ihrem Alltag. Es besteht noch keinerlei Kontakt mit dem Museum. Warum sollte uns diese Phase überhaupt interessieren? Weil sich hier viel Potenzial für das Audience Development versteckt. An dieser Stelle setzen auch mögliche Konzepte für Outreach an.
Wonach sucht Mona? Wofür braucht Mona eventuell Inspiration?
Was beschäftigt sie? Welche grundsätzlichen Bedürfnisse hat sie? Hier sind gute Einsatzmöglichkeiten für die Persona-Methode! Welche Analyse-Tätigkeiten machen hier Sinn? Zum einen ist es ganz wichtig, sich über Trends zu informieren. Es kann auch sehr hilfreich sein, Gespräche auf den verschiedenen Social Media Kanälen zu verfolgen. In jedem Falle bringt ein gezielter Blick auf alle möglichen Informationskanäle viel Erkenntnis!
Phase 2: Die Aktivität
Mona hat in dieser Phase ein besonderes Interesse und bestimmte Bedürfnisse. An dieser Stelle wird der Kontakt zum Museum möglich. Sie hat sich allerdings noch nicht entschieden. Denn es gibt mehrere Optionen für sie. Diese Phase ist entscheidend. Wo stößt sie auf die Angebote des Museums, wenn sie nicht direkt danach sucht? Was erfährt Mona über das Museum? Welche Empfehlungen erhält sie und welche Entscheidungen fällt sie daraufhin? Mit wem redet Mona über ihre Bedürfnisse? Was motiviert sie jetzt, bestimmte Dinge in Angriff zu nehmen?
Was für diese Phase ganz entscheidend ist, ist der Horizont einer Community. Je mehr sich die Kreise um Mona und die um das Museum überschneiden, umso wahrscheinlicher wird ein Besuch. Für das Museum gilt: Präsenz zeigen. Und natürlich, ein entsprechendes Community-Building zu verfolgen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf OF/BY/FOR All verweisen. Eine tolle Organisation, bei der sich viele Ansätze zum Thema Community verdichten.
Jetzt ist es entscheidend, ob man es schafft, das Empfehlungs-Marketing zu beeinflussen.
Phase 3: Die Entdeckung
Es wird ernst. Mona besucht das Museum. Hallo Mona!
Interessant ist bereits die Frage, wie sie es erreicht. Könnt ihr euch eine Vorstellung davon machen, wie viele Hürden sich da eventuell aufbauen? Ein sehr interessanter Punkt – mit viel Frust-Potenzial. Da ist zunächst mal die Anfahrt. Findet man das Haus gut? Wo ist der Eingang. Ich kenne Situationen, wo man auf diesem Weg schon viel Energie vergeudet!! Dann ist da die Empfangssituation allgemein. Wird man entsprechend willkommen geheißen? Findet man gute Ansprechpartner, deutliche Informationen? Und so kann man innerhalb des Hauses eine ganze Route aufeinanderfolgender Berührungspunkte definieren, von denen jeder einzelne eine Menge an Diskussionsstoff in sich birgt.
Beim Besuch sind aber auch folgende Fragen interessant. Auf wen trifft Mona? Ich sage nur mal das Stichwort: Infopersonal, Wachleute … Weiter finde ich es spannend, darüber nachzudenken, welche Entdeckungen Mona generell im Haus machen kann. Dazu könnte man vielleicht mal schnell eine ABC-Liste schreiben. Das bringt viele Erkenntnisse.
Weiter sollte man sich fragen: Was begeistert Mona? Was stört sie? Was würde sie gerne tun? Auf welche Geschichten trifft sie?
Ganz entscheidend ist nun, wie sich das Museum aufstellt in Hinblick auf Authentizität, Transparenz und Klarheit. Aber auch, welche Narrative es entwickelt. Denn die sind ganz wichtig, wenn es um das Weitersagen geht. Wenn etwas in eine gute und klar kommunizierte Geschichte verpackt ist, erleichtert es das Weitersagen. Das kann man Mona dann fast schon in den Mund legen!
Wie lange bleibt Mona im Museum? Eine halbe Stunde, einen ganzen Tag? Wobei es auch interessant ist, zu beobachten, ob Mona vielleicht ins Café geht und dann später wieder in die Ausstellung zurückkommt. Oder sich auf die Sitzgelegenheiten niederlässt und Pause macht mit dem Rundgang. Zu derlei Besucherverhalten gibt vielleicht das Buch „Museumsbesucher im Fokus“ auch interessante Hinweise. Ich habe es noch nicht gelesen, aber es klingt spannend.
Phase 4: Die Bindung
Mona verlässt das Museum. Tschüss Mona.
Fragen wir uns: Mit welchem Gefühl verlässt sie das Museum?
Was behält sie in Erinnerung? Was erzählt Mona anderen? In diesem Zusammenhang kann auch von Interesse sein, wo sie danach hingeht. Besucht sie vielleicht noch ein zweites Museum? Oder geht sie zu einem Stadtspaziergang? Geht sie shoppen? Ich habe viel Fantasie, was man Mona auf diesen Wegen jeweils mitgeben könnte.
Jetzt wird es spannend: Was motiviert Mona zum Wiederkommen? Hier muss man Anlässe schaffen! Und dafür sorgen, dass Mona diese auch sieht/erkennt. Ein guter Punkt wäre, ein gewisses Wir-Gefühl zu vermitteln, so dass Mona das Gefühl hat, dass das Museum ein Ort ist, der auch ein Stück weit für sie da ist, den sie sich aneignen kann. Wo sie mit ihren Bedürfnissen ernst genommen wird. Wo sie aber auch gehört wird, wo sie etwas beitragen kann. (siehe oben -> Stichwort Community!)
Was aber, wenn Mona nicht mehr wieder kommt! Was hindert sie am Wiederkommen? Auch das könnte man analysieren. Und vielleicht kann man hier das Angebot machen, sich zunächst virtuell weiter zu treffen und auszutauschen. Denn möglicherweise wohnt Mona gar nicht vor Ort und schafft es nicht, häufiger vorbei zu kommen. Ist aber an den Inhalten des Museums weiterhin interessiert. Hier bietet das Netz eine große Chance, denn es hebt die Barrieren auf, die z.B. durch Raum und Zeit gesetzt werden.
Einsatz des Customer Journey Mappings
Am erfolgreichsten lässt sich das Customer Journey Mapping nutzen, wenn es in Veränderungsprozesse eingebunden werden kann und Grundlage für strategische Überlegungen wird. Hier kommen jetzt einige Anmerkungen zur Nutzung des Mappings gepaart mit Empfehlungen, wie man am besten vorgehen kann. Das lässt sich natürlich weiter ausbauen. Je nachdem, welches Ziel man verfolgt.
-> Generell ist es sinnvoll, den Besucherinnen und Besuchern klar und deutlich mitzuteilen, was sie erwarten können. Dann hat man auch eine gute Bewertungsgrundlage für den Kontakt. Und: Der erste Eindruck zählt.
-> Nutzt das Engagement und die Expertise der Menschen, die im Museum arbeiten. Ihr könnt z.B. einen regelmäßigen Jour-fixe etablieren, auf dem ihr euch zum Besucherkontakt austauschen könnt.
-> Konzipiert Veranstaltungen mit den Nutzer*innen gemeinsam.
-> Definiert bestimmte Themen, die ihr hinsichtlich des Besucherverhaltens genauer in den Blick nehmen wollt (z.B. Öffnungszeiten, Leitsystem, Kinderangebote).
-> Analysiert die unterschiedlichen Kommunikationskanäle, über die euer Publikum sich informiert, aber auch, wo Rückmeldungen hinterlassen werden. Gezielt das Besucherbuch auszuwerten, ist auch schon mal ein Ansatz. Die einschlägigen Bewertungsportale abzugrasen (Tripadvisor etc., aber auch die Bewertungen bei Facebook) ist auch keine banale Sache. Ich denke, wenn man das richtig macht, wird das sehr ertragreich. Man muss nur eine agile Gruppe bilden, die sich darum kümmert und sich weiter damit auseinandersetzt.
-> Verteilt Zuständigkeiten und entwickelt Inhalte entsprechend der Kommunikationsroutinen der Nutzer*innen.
-> Je genauer ihr die Dialoggruppe definiert, für die ihr die Reise aufzeichnen wollt, desto besser lassen sich die Ergebnisse nutzen.
-> Sucht nach konkreten Arbeitssituationen, mit denen ihr Ergebnisse aus dem Customer Journey Mapping vergleichen können. Überprüft damit Schwachstellen und besinnt euch auf eure Stärken.
-> Design Thinking Methoden lassen sich prima mit der Customer Journey kombinieren. Man kann aber auch ganz simpel ausführliche Poster mit Mind-Maps oder Sketchnotes erstellen. Diese können als visuelle Richtschnur prominent aufgestellt werden und für weitere Besprechungen immer wieder genutzt werden. Oder ihr bastelt die Besucher-Reise im Museum mit Lego nach. Da lassen sich dann z.B. einzelne Kontaktpunkte in Räumen via Fähnchen darstellen und die Laufwegen nachvollziehen. Für den Ausstellungsaufbau werden ja auch gerne kleine Modelle genutzt. Vielleicht kann man die dann für die Besucherorientierung auch mal nutzen.
-> Als Anregung zupfe ich hier auch mal die tolle Installation im Aufzug des Marta Herford herbei. Dieses Werk der Künstlerin Ellen Brusselmans ist ein Angebot an alle, ihre Einschätzungen und Kommentare zu gestalten.
-> Und noch ein Lieblingstool von mir als Tipp: Sammelt anhand einer ABC-Liste möglichst viele Schlagworte aus dem Customer Journey Mapping. Erstellt eine weitere ABC-Liste zu der Frage: Welches Museum wollen wir sein? Zieht Verbindungslinien zwischen den beiden ABC-Listen dort, wo ihr Übereinstimmungen erkennen.