Kernpunkte einer Didaktik – so ist diese äußerst interessanten Publikation unterschrieben. Verantwortlich dafür sind Sybille Kastner vom Lehmbruck Museum (hatte ich ja bereits hier im Interview), der Kunsttherapeut Michael Ganß und Prof. Peter Sinapius von der Medical School Hamburg. Das mir freundlicherweise zugeschickte Rezensionsexemplar lag leider ein bisschen länger auf meinem Schreibtisch. Aber jetzt hatte ich endlich Zeit, mich einzulesen. Und ich muss sagen: ich bin begeistert. Hier meine fünf Punkte, warum ich es für jede oder jeden empfehle, der sich mit dem Thema Demenz beschäftigt.
Eine Studie im Hintergrund beweist die Wirksamkeit der Kunstvermittlung auf diesem Feld
Die Kunstvermittlung steht ja immer mal wieder auf dem Prüfstand. Was bringt das denn überhaupt? Diese Fragen mehren sich natürlich, wenn man es mit einer Gruppe zu tun hat, bei denen besondere Bedingungen vorherrschen. Wo man von den Standardangeboten abweichen muss und durchaus auch einen besonderen Aufwand betreiben muss.
Für die Studie wurden 13 Führungen am Lehmbruck Museum begleitet und entsprechend Daten gesammelt, die dann weiter verarbeitet werden konnte. Hierzu wurden zunächst die Bedingungen für die Kunstvermittlung untersucht. Besonders spannend ist die Auseinandersetzung mit der Frage, welche Kunstwerke sich wie für die Vermittlungsarbeit eignen. Im zweiten Schritt wurden dann die Wahrnehmungsverhalten der teilnehmenden Besucher genauer untersucht.
Hier hat sich die Kombination des Autoren-Trios als äußerst gewinnbringend erwiesen. Neben Sybille Kastner, die für den Bereich der Kunstvermittlung am Wilhelm-Lehmbruck-Museum stand, waren das Michael Gauß, Kunsttherapeut und Georontologe und Prof. Peter Sinapius, Professor für Intermediale Kunsttherapie an der Medical School Hamburg.
Die genauen Einblicke in die jeweiligen Führungen geben wertvolle Erfahrungen weiter
Was auf den ersten Blick vielleicht etwas langatmig wirkt (es wurden einzelne Gespräche minutiös aufgezeichnet) ermöglicht einen detaillierten Einblick in die jeweiligen Vermittlungssituationen. Ich empfinde das als großen Schatz an Erfahrungen. Zumal es einem eine Perspektive auf die Kunstvermittlung erlaubt, die man sonst eher selten so einnimmt. Auch wenn man sich ein ausgefeiltes Konzept gemacht hat – in der Praxis kommt es oft anders. Und wenn wir mal ehrlich sind: wie viel Zeit nehmen wir uns dann nach einer Veranstaltung, um alles nochmal Revue passieren zu lassen und es eventuell auszuwerten, was wir da gerade erlebt haben.
Deswegen sind diese Mitschriften ganz dazu angetan, die Prozesse, die bei einem Museumsbesuch ablaufen, nachzuvollziehen und aus den Reaktionen und Abläufen zu lernen. Spannend ist das gesamte Thema der „Kognition“. Und die Betonung der emotionalen Kompetenz, die die Menschen mit Demenz auszeichnet.
Man erfährt, welche Kunst sich eignet
„Dante“ von Dali löst erstaunliche Reaktionen aus. Eat Art von Dieter Roth regt zu Gesprächen an. Die Vorbilder Afrikas in der expressionistischen Kunst zu erkennen, ist schon eine kognitive Herausforderung, die von den Teilnehmern kaum angenommen wird.
„Die Besucher mit Demenz konnten den Kunstvermittlerinnen immer dann nicht folgen, wenn sie bestimmte Inhalte vermitteln wollen und auf sie mit gezielten, manchmal suggestiven Fragen zusteuerten.“ Da eignen sich dann eher Arbeiten wie W. Mattheuers „Liebespaar“. Hier werden andere Bereiche des Wahrnehmens eher angesprochen. Werke, die sinnliche Zugänge bieten, sind besonders gewinnbringend. Im Buch werden alle Erfahrungen aus unterschiedlichen Vermittlungsbemühungen gesammelt und immer auch mit den Erkenntnissen aus dem Verlauf der Demenz abgeglichen. An diesen Stellen ist die Zusammenarbeit der Kunstvermittlung mit den Fachleuten ein großes Plus!
Es trainiert die Sensibilität dafür, was die Sprache ausmacht
Ein ausführliches Kapitel ist der Sprache gewidmet. Es geht darin um Wortfindungsstörungen, auch um das Problem der Sprachlosigkeit. Thematisiert werden z.B. die Bereiche Körpersprache und barrierefreie Sprache. ‚Es gibt konkrete Handlungsanweisungen für die Kunstvermittlung, die mit den Erfahrungen der evaluierten Führungen gefüttert werden. Das ist wirklich das Großartige an dieser Publikation. Man kann diese Anleitungen problemlos auf die eigene Arbeit übertragen.
Besonders gelungen finde ich auch das Kapitel: Die Sprache in der Kunstvermittlung. Da gibt es dann solche Hinweise: „Erwachsenensprache nutzen: Menschen mit Demenz sind keine Kinder und wollen auch nicht wie Kinder angesprochen werden.“ Es ist keine kleine Herausforderung, mit Menschen mit Demenz zu arbeiten. Ganz wichtig ist meiner Meinung nach auch eine Form von Supervision. Gerade an der Stelle, wo man nicht mit einer langjährigen Ausbildung in dem Bereich Sicherheit erlangt hat.
(Wenn ich mir die Liste der Hinweise für die Sprache in der Kunstvermittlung genauer anschaue: Ich würde mir wünschen, dass ein bisschen davon in alle Führungen einfließen würde. Wer braucht schon Monologe, die ohne Pausen und voller Fremdworte das Wissen vor der Gruppe ausbreiten 🙂
Aber es gibt auch wichtige Hinweise, die den Umgang mit den demenziellen Veränderungen sehr unterstützen können. Wie zum Beispiel die Warnung vor Metaphern! Da hilft der Blick in die Vorgänge des Denkens und die Expertise der Wissenschaftler sehr.
Es enthält viele wertvolle didaktische Hinweise für die Praxis der Kunstvermittlung
Aus den Erfahrungsberichten und den Bedingungen der Demenz heraus wird in der Publikation noch einmal besonderer Wert auf die Didaktik gelegt. Auch wenn im eigentlichen Wortsinne sicher nicht von einer Lehrerfahrung gesprochen werden kann, so ist es doch hilfreich, sich Gedanken über die Ziele der Museumsbesuche zu machen. Und daraufhin entsprechende didaktische Schritte zu konzipieren.
Der sinnesorientierte Ansatz steht im Zentrum vieler Konzepte. Aber auch die Frage von Interessenlagen und räumlichen Bedingungen werden ausführlich thematisiert. Sie spielen eine nicht unwesentliche Rolle. Das Buch bietet eine ausführliche Sammlung unterschiedlicher Herangehensweise mit genauen Beschreibungen und Fallbeispielen. Mit einigen Anhängen zu Organisation und Ablauf der Angebote wird das Handbuch für die kunstvermittelnde Praxis zu einer wirklich runden Sache.
Mein Fazit: Sehr viel Input, den man gut umsetzen kann. Mir gefällt vor allem auch der persönliche Erfahrungsschatz, aus dem man schöpfen kann und der in Kombination mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und Evaluierungen wirklich hilfreich ist. Für jemand, der nach konkreten Anregungen sucht, genau das Richtige!
Interessante Publikation!
Biete gerne an, in der kommenden Ausgabe meiner Fachzeitschrift KulturBetrieb (eins 2017), Forum Ausstellen & Vermitteln, und / oder im Onlineportal http://www.kulturbewahren.de (Bereich Präsentieren) auf diesen Band aufmerksam zu machen.
Würden Sie einen Kontakt zu den Herausgebern resp. Autoren herstellen?
Beste Grüße
Berthold Schmitt
Guten Tag, Herr Schmitt,
ich würde Sie bitten, selber Kontakt mit den Hausgebern bzw. dem Verlag aufzunehmen. Alle relevanten Informationen stehen ja in meinem Artikel.
Viele Grüße
Anke von Heyl