Das Herz kann nicht dement werden


Kulturvermittlung / Freitag, September 30th, 2016

Hier habe ich ja bereits über die fabelhafte Kunstvermittlung in Emden berichtet. Und auch versprochen, dass ich noch etwas zu der Arbeit mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind nachschieben werde. Dass ich an dem Thema interessiert bin, habt ihr vielleicht gemerkt 🙂

Probier’s Mal – so heißt das Projekt der Malschule Emden, welches sie mit der Alzheimer Gesellschaft Emden Ostfriesland durchführen. Hildegard Krüger ist deren Vorsitzende. Sie hat mir Fragen beantwortet. Diesmal also eine Sicht auf die Kunstvermittlung von außen, was mich besonders freut. So vervollständigt sich der Blick auf das Thema.

Mich würde interessieren, welche Assoziationen Sie zum Wortpaar „Demenz“ und „Kreativität“ haben?

Ressourcen Orientiertes Arbeiten = Das Eingehen auf die einzelnen Persönlichkeiten.
Die „Probier’s Mal“ Werkstatt anbieten und erleben. Keine Ansprüche an die Teilnehmer/innen stellen.

„Probier’s Mal“. Das klingt nach einer konkreten Aufforderung an die Teilnehmer. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Ansprache an Menschen mit Demenz etwas differenzierter sein muss. Wie gestaltet sich der Kennenlern-Prozess? Ist es von Vorteil, dass die Teilnehmer regelmäßig kommen und welche Rolle spielen die Begleiter?

Das Angebot wird schon bei den Beratungsgesprächen gestellt. Dort wird geschaut, ob diese Form der Förderung und Begleitung der betroffenen Person gerecht wird. Es besteht die Absicht, jede Form der Isolation durch die Krankheit zu verhindern. Das kreative Angebot kann dieses leisten. Die Teilnehmer/innen kommen regelmäßig zu den Werkstattstunden am Freitag Vormittag. Dies ist sinnvoll um die Beziehung zu festigen. Die Angehörigen gehören zur Gruppe dazu. Sie sind während der Stunden nicht dabei, sie beteiligen sich bei Ausflügen und Festen. Die Atmosphäre ist inzwischen familiär. Ist eine teilnehmende Person alleinstehend, wird sie von einer Alltagsbegleiterin der Alzheimer Gesellschaft abgeholt und wieder nach Hause begleitet.

Im Flyer zum Projekt wird von Türen gesprochen, die sich öffnen. Mir gefällt das Bild sehr, zumal im Zusammenhang mit der Demenz eher über die Türen gesprochen wird, die zugehen. Haben Sie das Gefühl, dass sich die neue Welt, die die Gäste hinter den neuen Türen entdecken, auch nachhaltig in den Alltag mitgenommen werden kann? Wie können Menschen mit Demenz solche Erlebnisse mit sich tragen?

Ja, auf jeden Fall! Es ist Tatsache, dass viele Betroffene sich nicht an Einzelheiten über längere Zeit erinnern können, die positive Stimmung hält aber an. Sie wird auch erinnert, wenn sie zur nächsten Stunde kommen. „Das Herz kann nicht dement werden“ . Die Körpersprache ist sehr deutlich. Oft werden die Arme weit ausgebreitet beim Empfang. Ein Strahlen geht über das Gesicht.  Erlebnisse werden von den Betroffenen verarbeitet. Das können welche aus der Vergangenheit, dem Berufsleben oder aus der Gegenwart sein. So hat ein Mitglied, das wir eigentlich immer sehr fröhlich erlebt haben, an einem Tag sehr still ein dunkles Bild gemalt mit einer kleinen bunten Ecke darin. Als seine Ehefrau ihn am Ende der Stunde abholte, erzählte sie von der Beerdigung des Bruders am Tag zuvor. 

Ein promovierter Geologe zeichnet gerne. Immer wieder sind Linienführungen wie Erdschichten erkennbar. Eine besonders fröhliche Stunde entstand beim Formen eines Huhnes aus Ton. Der Schwanz des Tieres war der älteren Damen viel zu lang geraten. Es sah so herrlich komisch aus, dass alle lachten und der Vormittag richtig schön albern verlief. Keiner konnte und wollte sich wieder beruhigen. Eine andere Gelegenheit ergab, dass ein Teilnehmer mit unserer Kunsttherapeutin tanzte, weil zuerst das Gespräch und dann die Musik es ergab.

Gibt es auch Museumsbesuche mit den Teilnehmern? Oder finden die Treffen ausschließlich im Atelier statt? Wenn ja, was erleben Sie mit den Menschen mit Demenz vor den Kunstwerken?

Hauptsächlich treffen wir uns im Atelier. Wir machen aber auch regelmäßig Besuche in der Kunsthalle. Auch zu anderen Veranstaltungsorten machen wir Ausflüge, z. B. zum Kloster Ilow. Was erleben wir mit Betroffenen vor den Kunstwerken? Eine schöne Begebenheit erlebten wir bei der Früchteausstellung in der Kunsthalle Emden. 
Bei dem Bild einer Birne las Frau Troska, die Kunsttherapeutin, das Gedicht „Herr von Ribeck auf Ribeck im Havelland“ vor. Es war Erinnerungsarbeit auf ganz hohem Niveau. Eine andere Gelegenheit ergab, dass wir, scherzhafter Weise, ein Bild von unserem Teilnehmer mit dem Bild einer Ausstellung austauschen wollten.

Oft ist es aber nur einfach eine schöne Stille, ein Staunen. Unterschiedliche Sichtweisen und Erkennungsmerkmale werden deutlich. Wenn wir unseren Menschen mit Demenz mit Offenheit begegnen, wir unsere Seelen öffnen, dann öffenen sie sich und das bereichert das Miteinander. So können Gesunde von den Erkrankten lernen und profitieren.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten: Was würden Sie sich von der guten Fee für das Projekt „Probier’s Mal“ wünschen?

Unsere Wünsche an die guten Fee würde sicher
1. lauten:
Wir wünschen uns, die Beständigkeit und Verlässlichkeit beibehalten zu können. Immer das gleiche Atelier, die gleichen Betreuerinnen, die gleichen Zeiten. etc. Einmal mussten wir nach 3 Jahren leider unsere Kunsttherapeutin wechseln. Alles hat erstaunlich gut geklappt, da unsere neue Kraft in gleicher Weise arbeitet und auch sehr emphatisch ist.

2. Wunsch wäre die wirkliche Anerkennung der Fähigkeiten und Bedürfnisse unserer Menschen mit Demenz in der Gesellschaft und nicht die Einstellung: „Wir müssen ja auch etwas für die Alten tun.“

3. Wunsch wäre, dass wir auch weiterhin das Angebot unserer Kreativ Werkstatt „Probier’s Mal“ kostenfrei anbieten können.

Vielen Dank, Frau Krüger, für die Antworten auf meine Fragen. Und ich wünsche Ihnen und allen Beteiligten, dass „Probier’s Mal“ noch lange viele Menschen glücklich machen wird.

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